In Österreich sehe ich trotz jüngster Vorfälle keine Debatte in diese Richtung.
Grüße sendet
Timo Davogg
Frankfurter Rundschau 27 05 02
http://www.fr-aktuell.de/fr/index.htm
Wo Waffen Sportgeräte sind
Bei ihrer Jugendarbeit haben die deutschen Schützenvereine nur Kimme und Korn im Blick
Von Katharina Sperber
Zielsicher steuert der Vorsitzende Wolfgang Heimann seine Schützengesellschaft Tell Dietzenbach durch gute und durch schlechte Zeiten. Er fürchtet keine Frage, und wer will, kann sich über die Jugendarbeit des Vereins im südlichen Vorort von Frankfurt ausführlich informieren. Wann? "Kommen Sie doch am besten gleich vorbei", sagt er am Telefon. Zwei Stunden später empfängt er den Gast auf dem Schießstand mit einem kräftigen Handschlag und ein bisschen Ironie: "Was wollen Sie denn zuerst sehen, vielleicht die Bogenschützen?" Das will natürlich jetzt niemand, seit Robert Steinhäuser, der in einem Schützenverein das Schießen mit Großkaliberwaffen lernte, in Erfurt das Massaker angerichtet hat.
Vielmehr will man wissen, wie junge Leute an der Waffe ausgebildet werden in einem der 15 000 Vereine des Deutschen Schützenbundes, unter dessen Dach rund 230 000 Jugendliche in der Deutschen Schützenjugend organisiert sind. Gemessen an der Mitgliederzahl steht der Schießsport an vierter Stelle in der Rangliste des Deutschen Sportbundes, nach Fußball, Turnen und Tennis. Dabei sehen es westdeutsche Direktoren überhaupt nicht gern, wenn Schützenvereine in den Schulen um Nachwuchs werben wollen. Anders als im Osten, wo die Vereine ihre Angebote ans schwarze Brett im Schulhaus pinnen dürfen.
"Also von Waffen sprechen wir eigentlich nicht", verbessert Heimann sofort die Eingangsfrage. "Bei uns heißt das Sportgerät." Sieht aber ganz nach einer Pistole aus, was da der 13-jährige Christian gerade auf den Tisch legt. Heißt auch so: Luftdruckpistole oder die modernere Form, CO2-Pistole. Dass er mit seinem Sportgerät nicht in der Gegend rumfuchteln darf und es stets mit dem Lauf nach vorn halten muss, dort wo in zehn Meter Entfernung die Pappscheiben mit den schwarzen Ringen aufgereiht sind, weiß der Junge schon seit den ersten Trainingsstunden. "Wer hier den Cowboy macht, fliegt raus", sagt Heimann. (...)
Plop macht es und nochmal plop. Jessica, rechts neben Christian, und Daniel, links von ihm, haben gerade geschossen. Das Mädchen mitten ins Schwarze. Die 13-Jährige, sei "ein Naturtalent mit Nerven aus Stahl", sagt Thomas Burkhardt, pensionierter Polizist und seit 30 Jahren Jugendtrainer. (...) Daniel legt die knapp ein Kilo schwere Pistole noch auf ein extra für ihn aufgestelltes Metallgerüst. Denn hält er sie frei, zittert das dünne Ärmchen so sehr, dass der Knabe ("ich bin schon 11 Jahre alt") die Scheibe gar nicht trifft. "Wird schon", sagt Burkhardt. Beim Schießen liege in der Ruhe die Kraft. "Richtig gute Sportschützen sind meist über 30 Jahre alt. Dann sind sie gesattelt im Beruf, haben eine Familie gegründet, sind zur Ruhe gekommen." Und warum spuckt der Deutsche Schützenbund dann Gift und Galle, wenn der Gesetzgeber in dieser Woche das soeben von 12 auf zehn Jahre gesenkte Einstiegsalter für Sportschützen wieder heraufsetzen will?
(...)
Aber ums Siegen allein geht es ja nicht im Verein. Seit mehr als 30 Jahren fährt Wussow mit seinen jungen Schützen jeden Sommer ins Zeltlager. "Wir wandern und schwimmen, machen Lagerfeuer." Der Schützenverein sei "ein Ort des Miteinander, der Mitverantwortung, des Mithandelns und Mitgestaltens", hat auch der Christsoziale Huber bei seiner Festtagsrede hervorgehoben. "Unsere Schützen sind ein Stachel gegen den Zeitgeist, gegen die Bequemlichkeit und Anpassung in unserer Gesellschaft." Oder wie Christoph Böhr, CDU-Chef in Rheinland-Pfalz, sagt: ein "Bollwerk gegen die Spaßgesellschaft".
Und deswegen versteht der Deutsche Schützenbund mit seinen 1,6 Millionen Mitgliedern auch keinen Spaß, wenn der Gesetzgeber nach der Bluttat in Erfurt nun noch einmal das Waffenrecht verschärfen will. Und findet fast alle entsprechenden Vorschläge "völlig überzogen und realitätsfremd" - auch den, Jugendlichen erst ab dem 21. oder gar 25. Lebensjahr den Besitz von Waffen zu erlauben, für die man eine Waffenbesitzkarte benötigt.
Noch größere Kaliber fahren jene Lobbyisten auf, die sich im "Forum Waffenrecht" versammeln. Ohne den leisesten Anflug von Nachdenklichkeit geht es in deren Anmerkungen zur Gesetzesnovelle um nichts weniger als um den "freien Bürger in einem freien Land". Auf der Internetseite "caliber.de" wird jeder Wunsch, privaten Waffenbesitz einzuschränken, sogar als "Symptom für eine Geisteskrankheit" diagnostiziert. "Solche Menschen bedürfen unserer ganzen Sympathie", heißt es da. "Unter gar keinen Umständen sollte man ihnen allerdings erlauben, an der Formulierung von Waffengesetzen mitzuarbeiten." Und auf der Netzseite "Waffen im Volk" meint Lutz Möller " . . . nach
Erfurt": "Erst die Waffe scheidet den Mensch vom Tier."
(...)
Aber was wird aus Christian, wenn ihm der Aufstieg in die Landes- oder Olympiaklasse nicht gelingt? Wird es ihm auch dereinst in den Fingern jucken, mit einer großkalibrigen Waffe zu schießen, die auch "mal so richtig Kawumm macht", wie es Heini Wussow irgendwann mal erging? Wird er sich ein Beispiel nehmen an Herrn Keller, der auf dem 50-Meter-Schießstand in Dietzenbach seine Großkaliberpistole auspackt, während die Kinder nebenan noch trainieren?
Der Schüler surft schon heute durchs Internet und findet dort mit Leichtigkeit alle möglichen Waffennarren, die sich auch Sportschützen nennen. Wer weist ihm den Weg? Das Elternhaus, die Schule? Dort haben sie immerhin lange über Erfurt gesprochen. In der Schützengesellschaft Tell in Dietzenbach nicht, jedenfalls nicht im Jugendtraining. "Darüber reden wir nicht gern", sagt Thomas Burkhardt. Sport ist Sport, und Verbrechen ist Verbrechen. Das eine habe mit dem anderen doch nichts zu tun. Mit einem Küchenmesser könne "man auch ein Gemetzel anrichten, oder"?
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