7. Juni 2002, 11:06, Neue Zürcher Zeitung
Irrlicht im Nebel der politischen Korrektheit
Der Rechtspopulismus als hochstilisierter «Tabubruchs»
Als Jörg Haiders FPÖ vor zwei Jahren überraschend der Sprung in die Regierung Österreichs gelang, redeten die (damals noch sozial- demokratisch dominierten) Regierungen Europas aufgeregt von einer grossen Gefahr für die Demokratie in Europa und versuchten die Regierungsbildung in Österreich unter Androhung von Sanktionen zu beeinflussen. Auch der Europarat veröffentlichte damals einen Bericht über die Bedrohung der Demokratie in Europa durch «rechtspopulistische, extremistische» Parteien und Bewegungen. Neben Österreich, Belgien, Frankreich und Russland wurde im Bericht auch die Schweiz zum Kreis derjenigen Länder gezählt, in denen Parteien Wahlerfolge erzielt haben, die der Xenophobie, der Intoleranz oder dem Rassismus das Wort reden.
Mittlerweile wäre eine Liste europäischer Länder, in denen keine Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien zu verzeichnen sind, rascher verfasst. Ausser in den damals genannten Ländern haben rechts- populistische Bewegungen seither etwa in Italien, Norwegen, Portugal, Irland, Dänemark und jüngst auch in den Niederlanden zugelegt. Teils sind es rechte Splitterparteien, die erstarkt sind, teils nehmen etablierte Parteien die Proteststimmung auf. Letzteres tut in der Schweiz die SVP unter Zuhilfenahme der direktdemokratischen Instrumente seit über zehn Jahren. Und in Deutschland zeigt man sich derzeit über die dortige FDP irritiert, die mittels einer populistisch angereicherten Wahlkampagne versucht, das Stigma des (potenziellen) kleinen Koalitionspartners abzustreifen.
Es scheint indes kein Zufall zu sein, dass rechtspopulistische Wahlerfolge zunächst in traditionell konkordanten Regierungssystemen Europas aufgefallen sind, in Belgien, Österreich und in der Schweiz; der kometenhafte Aufstieg des Pim Fortuyn hat schliesslich auch dem Rätselraten über den bis dahin abweichenden Fall Niederlande ein Ende bereitet. Konkordanzsysteme und verkrustete, langjährige grosse Koalitionen laufen besonders Gefahr, Charakterzüge elitärer Machtkartelle anzunehmen. Populistische «Wir gegen alle andern»-Kampagnen haben hier ein leichtes Spiel. In Mehr- heitssystemen bietet sich mit der Möglichkeit effektiver Machtwechsel potenziellen Protestwählern noch eher ein Ventil an. Sind allerdings die politischen Lager zersplittert (wie in Italien oder Frankreich) oder kon- zentrieren sie sich im Vorfeld von Wahlen programmatisch auf die Wählergunst in der politischen Mitte (wie in Deutschland), bieten auch Mehrheitssysteme Raum für eine populistische Herausforderung.
Die Methode des Rechtspopulismus ist diejenige des hochstilisierten
«Tabubruchs»: Im Benetton-Stil wird der Scheinwerfer zielsicher dorthin gerichtet, wo der Nebel der politischen Korrektheit am dichtesten ist. Und das ist europaweit beim Thema Zuwanderung der Fall. Hinzu kommen länderspezifische Reizthemen, wie etwa das hochsensible Thema Anti- semitismus in Deutschland, die sprachethnische Spaltung in Belgien, das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle in Italien oder die politische Unabhängigkeit in der Schweiz. So hat denn auch jedes Land seinen eigenen, historisch gewachsenen «Populismus», was durch die inflationäre und pauschalisierende Verwendung des Begriffs vernebelt wird.
Verantwortlich hierfür sind (auch) die in Bedrängnis geratenen etablierten Parteien. Sie stehen vor einem Dilemma: Der Versuch, die erstarkte Konkurrenz und deren Themen als «extremistisch» auszugrenzen, wirkt oft ebenso ignorant wie selbst- gerecht und festigt die Protestbewegung in ihrem Selbstverständnis als Opfer des Establishments. Machen die Parteien indes vorschnell und lediglich punktuell Zugeständnisse an den ominösen «Stammtisch», wird solches vom Wähler geschmacksicher als Opportunismus entlarvt, mit dem Ergebnis, dass das «Original» gegenüber den «Kopien» an Glanz gewinnt.
Gefragt ist somit eine unaufgeregte, unter jeweils parteieigenen politischen Grundprämissen geführte Auseinandersetzung (auch) mit Themen, die der Populismus aufgreift. Erst die sorgfältige und rechtzeitige Problemanalyse ermöglicht die Trennung von politischem Handlungsbedarf und populistischer Warmluft. Wer die Thematisierung der von rechts gesetzten Themen unbesehen und pauschal als ein «Nach-dem- Munde-Reden» abtut, handelt fahrlässig. Die Parteien erkennen nämlich die politische Sprengkraft von Problemen vielfach auch deshalb zu spät, weil Warnsignale beharrlich als populistische Luftblasen (von links wie von rechts) abgetan werden. Über die Bücher gehen die Parteien in der Regel erst dann, wenn die Wahl schon verloren ist. Dann folgt das grosse Heulen und Zähneklappern in den Nachanalysen. Die Bewertung von Wahlresultaten ist indes ein untauglicher Sensor: Durch Beobachtung einfallender Häuser lässt sich kein Erdbeben voraussehen. Ohne frühzeitige Problemerkennung, ohne eigenständige und kohärente Umsetzung der Beurteilung in politische Ziele und ohne ein ausgereiftes Kommunikationskonzept ist der Polemik des Rechts- populismus nicht beizukommen.
Beispiel für eine ausgereifte, innovative Politik trotz populistischen Hetzkampagnen ist die Schweizer Drogenpolitik. Angesichts eskalierender Zustände in der offenen Drogenszene startete der «Blick» 1993 (damals noch keine «linke Tageszeitung») eine Kampagne gegen «Asylanten-Dealer», und die SVP doppelte bei den Zürcher Gemeindewahlen 1994 mit einer bis dahin beispiellos plakativen Kampagne nach. Im Herbst 1994 gab der Bund nach Gesprächen mit kantonalen Behörden seine bis dahin distanzierte Haltung in der Drogenpolitik auf, und innerhalb kurzer Zeit gelang auf Grund der Erfahrungen in den Kantonen und betroffenen Städten die Neukonzeption einer Drogenpolitik, die nicht allein auf der von rechts geforderten Kriminalitätsbekämpfung basiert, sondern den Säulen Prävention, Ausstiegshilfe und gesundheitliche Schadensbegrenzung den gleichen Stellenwert einräumt. Das «Volk», auf das sich der Populismus stets beruft, unterstützte bisher die neue
Politik; die SVP rannte vergeblich gegen sie an.
Es geht dem Populismus auf den Leim, wer seine Themen ängstlich meidet, darauf legt er es nämlich an. Eine liberale Politik muss sich stets an den Herausforderungen der Zukunft messen; Peter Glotz hat den Neokonservatismus einst als Auffangnetz bezeichnet, «in das sich der Liberale fallen lassen kann, wenn er vor seinem eigenen Liberalismus Angst bekommt». Information schützt vor Überraschungen, Unwissen erzeugt Verunsicherung. Und auf Verunsicherung baut der Rechtspopulismus. se.
Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online
unter: http://www.nzz.ch/2002/06/07/il/page-kommentar875OM.html
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