Profil 09 06 02
Fragen im versiegelten Kuvert
In anderen EU-Ländern läuft die Reifeprüfung objektiver und gerechter für alle Schüler ab. Bei der Matura liegen die Österreicher im EU-Vergleich auf dem guten vierten
Platz: 21 Prozent der über 15-jährigen Österreicherinnen und Österreicher haben ein Reifezeugnis. Zum Vergleich: Mehr als 40 Prozent der Franzosen haben Abitur.
Doch die Art, wie in Österreich Reifeprüfungen ablaufen, ist innerhalb der EU einzigartig. Denn nur hierzulande werden Maturanten von ihren eigenen Lehrkräften geprüft, die zuvor auch die Prüfungsaufgaben austüfteln. Für die externe Aufsicht bei der Prüfung sorgt der schulfremde Vorsitzende – ein Inspektor oder Direktor einer anderen Schule.
Österreich ist außerdem das einzige Land in Europa, in dem die Maturanten ihre Universität ohne Zugangsbeschränkung oder Aufnahmsprüfung noch frei aussuchen können.
Der Weg zum Abitur ist anderswo weit härter. In Frankreich, Finnland und Großbritannien stammen die Prüfungsfragen von unabhängigen Kommissionen, die dann auch die zurückgesandten Arbeiten bewerten. Die Namen der Schüler werden bei der Korrektur durch Nummerncodes ersetzt, was sicherstellen soll, jede Form von Protektion auszuschalten.
In Frankreich werden die Prüfungsfragen für das Bacalauréat jedes Jahr identisch und zeitgleich an alle höheren Schulen verschickt. Die Überseegebiete erhalten eigene Fragen, um Schwindelmöglichkeiten aufgrund der Zeitverschiebung auszuschalten. Wird an einer Schule das versiegelte Kuvert vorzeitig aufgebrochen, muss im ganzen Land die Matura wiederholt werden.
Der französische Abiturient erhält eine Gesamtnote aus allen abgeprüften Fächern auf einer Notenskala zwischen 0 und 20. Wer weniger als 12 Punkte hat, besitzt kaum Chancen auf einen Studienplatz. Die meisten Hochschulen führen obendrein Aufnahmeprüfungen durch. Es gibt bereits eigene Schulen, die nach der Matura Kandidaten auf solche Tests vorbereiten. Eliteschulen wie die Beamten-Kaderschmiede Ecole Nationale d’Administration (ENA) nehmen nur die besten Schulabgänger eines Jahrgangs.
Auch in Großbritannien ist der Notendurchschnitt im Zeugnis einer Grammar School für die Aufnahme an einer Uni entscheidend. Unter den höheren Schulen herrscht obendrein ein beinharter Wettkampf um das Ranking. Aus diesem Grund findet auch ein Wettbewerb um jene Kommissionen statt, welche die Prüfungsfragen ausarbeiten. Diejenigen mit leichteren Fragen werden bevorzugt, um bei der Zahl der Absolventen besser abzuschneiden.
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