SN 10 06 02
Matura ohne kleines Einmaleins
Mangelnde Studierfähigkeit: Bildungsexperte fordert Dialog zwischen Unis und Höheren Schulen
WIEN (SN-schli).
"Sechs mal acht", das könne er nicht im Kopf ausrechnen, dazu habe man schon in der Schule immer den Taschenrechner verwendet. Dies erklärte ein Klagenfurter Student vor kurzem seinem Professor. Und ähnliche Erfahrungen seien kein Einzelfall, betont der Klagenfurter Pädagogikprofessor Erich Leitner im Gespräch mit den SN. Die zuletzt von der FPÖ angezogene Debatte um eine Abschaffung der Matura sei "nicht wirklich durchdacht" und gehe am Problem vorbei. Eine bestandene Matura bedeute heute in vielen Fällen nicht gleichzeitig auch die Fähigkeit, einem anspruchsvollen Studiengang folgen zu können.
Studierfähigkeit sei bei den heimischen Unianfängern heute sehr oft nicht gegeben. Nicht nur,dass es am kleinen Einmaleins gebricht, neulich hätten sich in einer Lehrveranstaltung die Hälfte der Zweitsemestrigen nichts unter einer "demographischen Entwicklung" vorstellen können und wenn man frage, wann der 1. Weltkrieg aus gewesen sei, "wissen das 80 Prozent nicht", betont Leitner.
Um Studierfähigkeit der Maturanten zu gewährleisten, fordert Leitner einen "kontinuierlichen Dialog zwischen Universitäten und höheren Schulen", wie es ihn etwa in England längst gibt. Die Universitäten müssten die Möglichkeit haben, einzubringen, welche Voraussetzungen Studienanfänger mitbringen sollen. Hierbei gehe es neben Allgemeinbildung und Basiswissen vor allem um Lernbereitschaft, Selbstständigkeit, Urteilsfä-higkeit, Belastbarkeit und vor allem Selbstorganisation. Studierende mit guter Selbstorganisation hätten den besten Studienerfolg, so Leitner.
Durch die Diversifizierung der Schulen, die zur Matura führen, seien die Unis heute mit einer "unvorstellbaren Heterogenität" der Studenten konfrontiert. Für das Studium Grundlegendes werde dabei in den Höheren Schulen oft nicht vermittelt. Wer ein technisches Studium angehe, müsse zum Beispiel differenzieren und integrieren können. Studienanfänger, die aus der HTL kommen, hätten das nicht gelernt, betont der Klagenfurter Bildungsexperte.
Für Leitner ist eine Abschaffung der Matura nicht der richtige Weg. Wissen müsse auch überprüft werden, die kommissionelle Prüfung bei der Matura habe Öffentlichkeitscharakter und man könne damit weitgehend vermeiden, dass etwas "ausgemauschelt" werde.
Es sei allerdings international völlig unüblich, dass die Lehrer, die die Schüler unterrichten, auch bei der Matura als Prüfer auftreten. Dies sei eine Eigenheit des deutschsprachigen Raums. Damit sei aber die Vergleichbarkeit des Standards einer Matura nicht gewährleistet. An vielen Hochschulen gebe es das Problem, die Heterogenität der Studienanfänger anfangs auszugleichen. Es dauere oft zwei bis drei Semester, die Studenten auf einen einigermaßen gleichen Standard zu bringen, betont der Leitner.
Leitner tritt dafür ein, an den Universitäten Forderungskataloge aufzustellen, die beinhalten, was der Studienanfänger an Studierfä-higkeit besitzen solle. Die Fachhochschulen gingen einen anderen Weg und definierten genau, was ihre Studenten können müssen. Dann suchen sie sich bei einer Aufnahmsprüfung die geeigneten Studenten heraus. Die Unis sollten aber bei der allgemeinen Hochschulberechtigung bleiben, befindet Leitner. Aufnahmsprüfungen an den Universitäten wären nur für den Fall, dass es bei der derzeitigen "Beliebigkeit" bleibe, ein "allerletzter Weg".
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