Presse 11 06 02

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Bildungsreform von oben nach unten . . .?

Für die Matura im herkömmlichen Sinn spricht eigentlich nichts - außer die Maturafeier.

GASTKOMMENTAR VON MANFRED WAGNER
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Der Autor ist Ordinarius für Kultur- und Geistesgeschichte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

Dem guten Kenner der österreichischen politischen Landschaft hätte eigentlich klar sein müssen, daß eine Reform der staatlichen Bildungsinstitutionen weder von den Betroffenen gefordert, geschweige denn erzwungen würde, sich also auch nicht von unten nach oben fortpflanzte, sondern eher umgekehrt von oben nach unten angegangen werden müsse.

Denn das Vorschulalter, das nach wie vor leider völlig außerhalb der öffentlichen Diskussion zu stehen scheint, glaubte man mit dem Anschein der Kompensation des Kindergeldes erledigt zu haben, was sich allenthalben und nicht nur in Österreich als Irrtum herausstellt. Und im Gegensatz zu Pflichtschule und Höherer Schule, wo vor allem die Lehrer und ihre Gewerkschaften sich gegen jedwede Veränderung sperrten, war augenscheinlich, daß eine Universitätsreform schon allein aus dem Zusammenhang mit den internationalen Forschungstendenzen unabdingbar war und - wie man sieht -auch mit relativ vernünftigen Argumenten soweit durchsetzbar sein dürfte, daß selbst anfängliche Gegner nun zu Sympathisanten mutieren.

Der nächste Veränderungsschritt war -immer noch in Richtung von oben nach unten - folgerichtig die Infragestellung der Matura, die auch prompt von der FPÖ, dieses Mal vernünftigerweise unterstützt von SPÖ und den Grünen, zur Sprache kam.

Tatsächlich ist zu überlegen, ob dieser vormals vor allem für die Beamtenkarriere wichtige Prüfungsabschnitt (B-Beamte) nicht ersatzlos gestrichen werden könnte, um einerseits die Schulverwaltung zu entlasten, anderseits den Universitäten Raum für fachentsprechende Aufnahmegespräche zu ermöglichen.

Ob diese dann punktuell als Aufnahmsprüfungen nach der 8. Klasse verstanden werden, oder -was auch denkbar wäre - sogar dieses letzte Schuljahr insgesamt als Vorbereitungsphase für das Studium an der Universität als eine Art Collegejahr einzurichten wäre, ist überlegenswert.

Die wenigen Berufsberechtigungen, die mit der Matura an berufsbildenden höheren Schulen verbunden sind, werden angesichts einer globalisierten Welt, wo es um Qualifikationen statt um den Berechtigungsscheinerwerb geht, auch anders zu lösen sein. Bislang haben jedenfalls meines Wissens alle Versuche, universitäre Lehrstrukturen an der AHS vorweg zu nehmen, wenig gebracht. Stattdessen wäre tatsächlich sinnvoller, die Schüler in den Grundkenntnissen von Lernen, Verstehen, Exzerpieren, Zitieren und Zusammenfassen auszubilden und statt angesagter punktueller Prüfungen ihnen klarzumachen, daß, was man erfahren hat, jederzeit und überall präsent sein muß und nicht nur zu den akribisch vereinbarten Prüfungsterminen.

Dabei sollte man sich nicht - wie üblich - von den Interessen der gewerkschaftlich gut organisierten Lehrer leiten lassen, sondern einmal gelassen die Vor- und Nachteile einer solchen Maßnahme diskutieren. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich im Gegensatz zur geübten Praxis vielleicht doch der Sachverstand gegenüber den Klientelinteressen der Parteien, die ja historische Gründe für ihr Verhalten gehabt haben mögen, durchsetzen könnte. Und vielleicht sollten dann auch gute Einfälle der FPÖ unvoreingenommen diskutiert werden. Für die Matura im herkömmlichen Sinn spricht eigentlich nichts mehr als der Verlust der damit verbundenen Feier. Aber eine Gesellschaft, die ohnehin gewohnt ist täglich zu feiern, könnte darauf leichten Herzens verzichten.

Der Kommentar drückt die persönliche Meinung des Autors aus.





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