DER STANDARD
Dienstag,11. Juni 2002, Seite 8 Ausland

"Lehrerin hat falsche Antwort wegradiert"
Britische Lehrer erschwindeln bessere Noten in nationalen Examen

Großbritannien/Wien - Britische Lehrer schwindeln bei staatlichen
Abschlussexamen, indem sie ihren Schülern beim Beantworten von
Prüfungsfragen helfen oder falsche Antworten nachträglich korrigieren. Das
berichtet die Londoner Tageszeitung The Guardian.

"Meine elfjährige Enkelin hat soeben ihre Abschlussprüfungen in der
Volksschule gemacht", berichtet Margaret Jacobs, pensionierte Lehrerin aus
London: "Als ich sie fragte, wie es denn gegangen sei, sagte sie: "Ganz gut
eigentlich, Oma. Die Lehrerin hat uns zuerst die Fragen erklärt, und wenn
wir was falsch gemacht haben, hat sie's ausradiert, damit wir es hinterher
besser machen könnten."

Das Ausradieren falscher Antworten, Durcharbeiten von exakt auf die
Prüfungen zugeschnittenem Lehrstoff, ja sogar Auswendiglernen der Antworten
von seiten der Schüler nach Bekanntgabe der Fragen durch ihre Lehrer seien
nur einige der Praktiken, die ihr in den letzten fünf Jahren - seit Beginn
der Bildungsoffensive der Labour-Regierung - zu Ohren gekommen seien,
bestätigt eine andere Volksschullehrerin mit Berufserfahrung aus ganz
England. "Lehrer", erklärt sie, "stehen bei allgemeinen Budgetnöten unter
dem Druck, die vorgegebenen Leistungsstandards zu erfüllen".


Volksschulniveau

Die Lese- und Schreibfähigkeit von sieben Millionen Menschen in
Großbritannien und Nordirland befindet sich derzeit auf Volksschulniveau
(Einwohnerzahl: fast 60 Millionen). Die Regierung Tony Blair will daher den
Schulen Anreiz für eine bessere Performance geben. Staatliche Schulen, die
ihre Resultate bei national vorgegebenen Abschlussexamen verbessern, werden
in ein Ranking empfehlenswerter Schulen aufgenommen. Wer den Eintrag nicht
schafft, muss um Schüler und Personal kämpfen.

Schulen, die besonders gut abschneiden, können außerdem punktuelle
Förderungen nach einem Cash-Bonus-System bekommen, das Lehrern und
Schulpersonal zugute kommt. Im Vorjahr wurden 60 Millionen Pfund (rund 93
Millionen Euro) verteilt. Privatschulen sind von Ranking und
Cash-Bonus-Förderungen ausgenommen.

Noch scheint sich Schwindel auf Volksschulen zu beschränken. Denn einzig bei
den Voksschulabschlusprüfungen (SATs) bekommen die Lehrer die
Prüfungspapiere einen Monat vor dem Examen zugesandt - im Unterschied zu
GCSE (Mittlere Reife) und A-Levels (Matura), wo die Schüler die Kuverts mit
den Fragen in der Prüfung selbst aufreißen müssen. (east)

--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.