Presse, 18 06 02
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"Didaktik nur in homöopathischen Dosen"
Die Pisa-Studie ließ Österreichs Bildungspolitiker aufatmen. Warum man solche Rankings mit Vorsicht genießen muß, erklärt der Salzburger Erziehungswissenschaftler Josef Thonhauser.
VON BETTINA STEINER
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Josef Thonhauser |(c) apa
"Das Verlockende an Rankings ist, daß sie so populär sind. Das kennt man aus dem Sport, damit gewinnt man rasch Aufmerksamkeit. Sie vermitteln scheinbar klare Informationen." Josef Thonhauser, Salzburger Erziehungswissenschaftler, befaßt sich seit 15 Jahren, derzeit in einem Wissenschaftsfonds-Projekt, mit Bildungsevaluation. Knapp gesagt: Er untersucht, wie man mit wissenschaftlichen Methoden Unterricht, Schulen und Universitäten beurteilen kann - und überprüft dann, inwieweit unsere Bildungseinrichtungen ihren Zweck erfüllen.
Für Österreichs Bildungspolitiker waren die Ergebnisse der Pisa-Studie ("Programme for International Student Assessment", Ende 2001) Balsam. Während unsere deutschen Nachbarn sich über Platz 22 zerknirschen - noch immer widmen "Zeit" und "Spiegel" lange Artikel der "Bildungsmisere" - konnte sich Österreich über einen Platz im guten Mittelfeld freuen. Die Scharte, die uns die TIMSS-Studie ("Third International Mathematics and Science Study", 1995) beigebracht hatte, schien ausgewetzt. Trotzdem fragt man sich: Wie kam es zu so unterschiedlichen Ergebnissen?
Thonhauser sieht mehrere Gründe. "Pisa untersuchte die 15jährigen. Die Schüler der 8. Schulstufe lagen aber schon in der TIMSS-Studie im guten Mittelfeld." Daß TIMSS so schlecht ausfiel, lag an den Schülern der
Oberstufen: Sie rangierten in Mathematik und Naturwissenschaften am Ende der internationalen Rangreihe.
Zweitens: Während TIMSS noch eher outputbezogen arbeitete und sich strikt auf die Lehrpläne bezog, erhob Pisa vor allem, was die Schulforscher "outcome" nennen. "Diese Studie überprüfte Fähigkeiten, die notwendig sind, um sich in der modernen Gesellschaft zurechtzufinden". Will man Österreichs Lehrern schmeicheln, kann man also sagen, daß ihre Schüler gut aufs Leben vorbereitet werden.
Weniger schmeichelhaft wäre die dritte Erklärung: Daß Österreich auf dem 10. und nicht auf dem 15. Platz landete, könnte auch Zufall sein. Thonhauser: "Die Plätze erinnern an den Sport - aber die Leistung im Bildungsbereich kann nicht annähernd so präzise bestimmt werden. Das sind alles nur wahrscheinliche Werte. Es gibt große Schwankungsbreiten."
Bei aller Skepsis gegenüber den Rankings - die hohe Aufmerksamkeit, die sie genießen, sei eine Chance: "In Deutschland hat Pisa den Bundespräsidenten zu einer Rede an die Nation veranlaßt. Und erst kürzlich hat die Konferenz der Kultusminister Maßnahmen beschlossen, die aus dem Tief herausführen sollen. Als bei uns das schockierende Ergebnis der TIMSS-Studie für die Oberstufen bekannt geworden ist, hat man zuerst abgewehrt nach dem Motto: Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Aber dann hat man der Realität ins Auge gesehen und etwa ein eigenes Fortbildungsprojekt für Lehrer der Mathematik und Naturwissenschaften ins Leben gerufen."
Das Problem an den höheren Schulen sieht Thonhauser unter anderem darin, daß man Gymnasiallehrern "Didaktik nur in homöopathischen Dosen" vermittle. "In der Volksschuldidaktik hat sich viel getan. Die Volksschulen haben wichtige Reformen hinter sich gebracht." Auf den Universitäten komme dagegen die praxisbezogene Ausbildung immer noch zu kurz.
Läßt sich aus der Pisa-Studie herauslesen, welche Schultypen besonders erfolgreich sind? "Wenn Sie mit dieser Frage auf die Gesamtschule abzielen: Da kann man mit Pisa in beide Richtungen argumentieren." Allerdings gebe es eine Spezialauswertung von Pisa und TIMSS, mit der die Sinnhaftigkeit der Leistungsgruppen in Hauptschulen untersucht wurde. "Man hat erwartet, daß die Schüler besser lernen, wenn die Gruppen homogener sind. Dafür fand man allerdings keinerlei Hinweis. Im Gegenteil: Leistungsgruppen scheinen der Leistungsentwicklung im allgemeinen nicht förderlich zu sein."
Generell erscheinen Thonhauser die Rankings oft weniger substantiell als die Nachfolgestudien, die das Ergebnis vertiefen: "Man wollte etwa wissen, warum in der TIMSS-Studie Japan soviel besser abschneidet als Deutschland oder die USA. Dazu hat man in diesen drei Ländern typischen Unterricht mit Video aufgezeichnet."
Ergebnis: "In Deutschland wird der Unterricht immer wieder unterbrochen. Da kommt ein Schüler zu spät, der Lehrer macht eine witzige Bemerkung, Schüler wollen wissen, was los war - und schon hat er den Faden verloren. Oder: Ein Schüler geht an die Tafel, macht einen Fehler - die anderen Schüler lachen. Es gibt viele solcher Unterbrechungen." Das kenne man in Japan nicht: "In Japan geht man davon aus, daß jeder sein Bestes gibt. Da wird niemand ausgelacht." Und das heißt: "Wenn in Japan Unterricht ist, dann wird auch gearbeitet."
Wie sieht der Unterricht in Österreich aus? Sehr ähnlich wie in Deutschland. Wie ließe er sich verbessern? Thonhauser leitet ein Forschungsprojekt, das sich "Benchmarks von innen" nennt und untersucht, wie gute Lehrer unterrichten. Dafür werden jene Lehrenden beobachtet, deren Schüler nachweislich überdurchschnittliche Resultate erzielen und sich im Unterricht wohlfühlen. Erste Ergebnisse werden im Spätherbst vorgelegt.
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