Guten Tag!

Heute hat mich eine Kollegin auf die unten stehende Glosse des Tramontana im neuen profil aufmerksam gemacht. Ehrlich gesagt verschlägt es da auch einem in Gelassenheit geübtem Lehrer wie mir die Sprache angesichts einer Verstaberlung, Verhaiderung und Verwolfung einer einstigen "Edelfeder" des österreichischen Journalismus. Aber lesen Sie selbst!

Grüße sendet
Timo Davogg
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Profil 25 / 2002

http://www.profil.at/aktuell/index.html

Der Aufstand der Leerer

Österreichs Pädagogen beschweren sich darüber, dass sie überhaupt unterrichten dürfen. Von Reinhard Tramontana

Sie sind missmutig gelaunt, fühlen sich unterschätzt und weit unterbezahlt. Mit ihrer unverhohlenen Abscheu vor der Arbeit in den Schulen leeren sie die Klassen, denn die Schüler fliehen die zunehmende Kasernen-Atmosphäre.

Zu entsetzlichen Selbstmorden führt die Verzweiflung junger Menschen Gott sei Dank noch nicht oft, zum Reißaus vor der nächsten Schularbeit aber immer häufiger.

Die heranwachsenden Menschen begreifen, dass sie von den schon vollends herangereiften nicht mehr ernst genommen werden. Denen, ergaben vertrauliche Aussagen von Psychotherapeuten, ist die Situation der Anvertrauten wurscht, "wenn ich weiß, dass ich in zwei Jahren in die Pension gehen kann".

Sie wollen mit Fünfern und scheinkompetentem Flunkern die Mädchen und Buben aus der Schule treiben, denn, anders als in früheren Generationen, haben sie Angst vor ihnen.

Während unsereins allenfalls wagte, der Lateinprofessorin selbst bestens vorbereitet die Zimmertür zu öffnen und "Salve, Magistra" zu murmeln, ächzen angeblich heutzutage junge Menschen beim Betreten des Klassenzimmers: "Oida, heit bin i net gaunz drauf."

Zu unserer Zeit gab es in der Klasse, im Alter von 16, zwei entzückende
Trinker: die waren der Theologe und der Turnprofessor. Aber unsereins hat nichts so erschreckt, dass wir – neben der selbstverständlichen Johnny Ohne – zu einer alkoholischen Flasche gegriffen hätten. Heute erzählen mir 16-jährige Mädchen, dass sie Kolleginnen haben, die unter zwei Achteln Vermouth in der Früh die Schule gar nicht betreten können.

Anderseits, bekennen Berufsverbände, stehen Lehrer immer häufiger unter dem Eindruck von am Morgen genommenen Tranquilizern. Was ist aus einem Bildungssystem geworden, in dem die Lehrer zu Leerern ihrer Klassen geworden sind und in dem die Schülerinnen schon froh sind, "während eines Dia-Vortrags nicht sexuell belästigt zu werden und sich diesbezüglich für die mündliche Matura nicht erkenntlich erweisen zu müssen"?

Es gibt Schüler, die nachweislich Nachhilfe bei den Ehefrauen ihrer Lehrer bezahlt haben, denn, ungeachtet ihrer Leistung, hätten sie keine positive Note bekommen, da das Ermessen einer Sachkundigkeit dem Lehrer allein obliegt.

Und, seit trauriger jüngster Zeit, wissen wir wieder, dass es junge Menschen gibt, die der Scholoskatur nicht gewachsen sind, die angesichts des Unverständnisses jener, die dazu da sein sollten, aus Menschlein Menschen zu machen, fatal, final verzweifeln.

Wie oft ist schon in allen Zeitungen gestanden, dass die besten Köpfe ursprünglich die schlechtesten Noten hatten? Was hat es den Kleinen gegeben, zu wissen, dass Albert Einstein ein schulischer Versager war und Brigitte Bardot, Winston Churchill, Erich Kästner und Kurt Tucholsky auch?

Gar nichts hat es ihnen genützt, weil dieses Wissen den selbstherrlichen Lehrern nicht genützt hat. Es gibt zwar wahrscheinlich keinen österreichischen Lehrer, der imstande ist, Friedrich Schillers "Lied von der Glocke" aufsagen zu können (und nur jeder Zehnte wird überhaupt ahnen, wie der Verfasser hieß), aber wenn ein Knirps den Pythagoräischen Lehrsatz nicht im Schlaf auswendig weiß, dann ist er bei den Leerern der Klassenzimmer endgültig draußen.

Obwohl sie fünfzehn Wochen Urlaub im Jahr haben, nützen sie diese Zeit fast nie dazu, sich möglichst unauffällig weiterzubilden. Selbst unentgeltliche Seminare der Landesverbände werden kaum frequentiert. Und selbstredend scheut jede Lehrerin und jeder Lehrer wie die Pest alles, was mit pädagogischer Nachbildung zu tun haben könnte.

Schülerinnen und Schüler sind, verständlicherweise, am liebsten faul. Sie sind aber, gerade in diesen für sie höchst beunruhigenden Zeiten, äußerst daran interessiert, an das Geschehen der Wirklichkeit sachkundig herangeführt zu werden. Das vermögen sehr viele Mitglieder eines so genannten Lehrkörpers nicht zu schaffen, denn sie befinden sich in einem geschützten, weiß Gott weltfernen Betrieb. Die meisten von ihnen haben maturiert, das Lehramt gemacht und sind in ihre gewohnte Wonne-und-Waschtrogküche-Schule zurückgekehrt. Nur wenige haben, ehe sie lebenden Menschen das System des Lebens erklären durften, das Leben überhaupt kennen gelernt. Wenn sie sich jetzt wegen der Dienstpragmatik aufregen, wegen der "Belastungen", die schon ein verantwortungsvoller Wandertag in sich birgt, sollten sie den Staat um eine Denkpragmatik bitten. Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf, dass ihre Matura die Reifeprüfung ihrer Lehrerinnen und Lehrer ist.

Großteils findet derzeit vor den verängstigten Eltern das Gegenteil statt: die Bildung geht in die Leere. Allen Sitzenbleiberinnen und Sitzenbleibern wünsche ich einen schönen Sommer. Ihr machts das doch mit links – wie schon euer Pate Einstein.


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