DER STANDARD
Donnerstag, 20. Juni 2002, Seite 20 Chronik

Stadtschulrat: Kritiker sehen Proporzposten
Beförderung eines Christgewerkschafters umstritten

Andrea Waldbrunner

Wien - "Das Schulwesen in Wien ist streng nach rot-schwarzem Proporz
aufgeteilt", erläutert Grünen-Bildungssprecherin Susanne Jerusalem
Unwissenden "ein Sittenbild". Das funktioniere in Stadt, Land, Bund gleich.
"Dieses Mal bekommt ein Schwarzer einen Posten."

Die gestrige Bestellung eines VP-Gewerkschafters zum Landesschulinspektor
für die Humanberuflichen Schulen (zuständig für Schulen für wirtschaftliche
Berufe, Tourismusschulen) sorgt aber auch unter Betroffenen für Unmut. Denn
im Vorfeld haben sich auch Direktorinnen, die den bisherigen langjährigen
Gewerkschaftsfunktionär als künftigen Chef erhalten sollen, gegen ihn
ausgesprochen. Leopoldine Wospiel (ebenfalls VP) hat an das Kollegium des
Stadtschulrates geschrieben, man möge von seiner Bestellung absehen.

Ihre SP-Kollegin Viktoria Kriehebauer, Direktorin in der Wassermanngasse,
hält den Neuen für "völlig unbeleckt", was die fachliche Qualifikation
angeht. "Wir kriegen jemanden vorgesetzt, der keine Ahnung und keine
Sozialkompetenz hat."

Susanne Jerusalem kritisiert außerdem das Prozedere der Bestellung. Ihrer
Ansicht nach ist der VP-Mann zum einen nicht als der Kandidat mit der besten
Bewertung aus dem Objektivierungsverfahren (bestehend aus Computertest,
Gutachten, strukturiertem Interview) hervorgegangen.

Zudem würde das vorgeschriebene Amtsgutachten fehlen. Dieses müsse vom
zuständigen Abteilungsvorstand im Stadtschulrat erstellt werden. "Es fehlt
im Akt", so Jerusalem, und sie nennt als Grund, dass man
stadtschulratsintern von der Qualifikation des Kandidaten nicht überzeugt
sei. Ihr Antrag, die Causa in der Mittwochsitzung im Stadtschulrat von der
Tagesordnung zu nehmen, sei abgelehnt, der VP-Mann bestätigt worden.

Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SP) weist Vorwürfe eines
unkorrekten Verfahrens zurück. Die Unterlagen seien komplett. Der
Abteilungsvorstand ihres Hauses habe kein Amtsgutachten vorgelegt, jedoch
den Dreiervorschlag erstellt. Es gäbe aber Gutachten anderer Direktoren für
den VP-Mann.

Von einer parteipolitischen Besetzung nach rot-schwarzem Muster könne keine
Rede sein, assistiert VP-Bildungssprecher Walter Strobl. Er besteht darauf,
dass sein Parteikollege ordnungsgemäß bestellt wurde. Die Grünen bezichtigt
er, am Bestellungsverfahren nicht ausreichend mitgewirkt zu haben.

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