Liebe Kolleginnen und Kollegen!
S.g. Koll. Friebel,
ich finde es schon amüsant, wie sie sich von ihren Gesamtschul-Ängsten treiben lassen und dabei übersehen, dass es faktisch die der VP nahe- stehenden Landesregierungen / Landesschulräte sind, die in manch ländlichen Regionen den Schülern gar nicht die Möglichkeit zum Besuch einer AHS geben. Oder wollen Sie behaupten, dass die Schüler im ländlichen Raum um so viel weniger intelligent sind, dass 100 Prozent dort die Hauptschule besuchen? Der wahre Grund ist einfach der, dass das Bildungsangebot mangelhaft ist, der Besuch einer AHS - auch schon vor der Einstellung der Postbusse - mit nicht zumutbaren Hindernissen verbunden ist, dass dank dieser Schulpolitik die Haupt- schule zur Gesamtschule geworden ist.
Ich habe gerade in den letzten Tagen wieder von Eltern gehört, wie VP-Gemeinderäte für den Besuch der örtlichen Hauptschule geworben haben, gleichzeitig die Notwendigkeit zum AHS-Besuch in Abrede stellten und mit wirklich interessanten, gemeindemitfinanzierten Zusatzan- geboten lockten. Offensichtlich ist es politischer Wille der Gemeinde, alle Gemeindekinder in der eigenen Schule zu behalten.
Was uns abgeht, sind einigermaßen objektivierbare Maßstäbe, unter welchen Voraussetzungen ein Kind eine AHS oder eine Pflichtschule besuchen soll. Das gegenwärtige System ist höchst verlogen. Ich gehe davon aus, dass die Kapazität einer Schule der Maßstab ist, und demnach wird versucht die Klassen voll zu bekommen.
In meinen "Fantasien von übermorgen" stelle ich mir vor, dass in die AHS diejenigen gehen, die über das Schulpflichtalter hinaus auch lernen wollen, die überdurchschnittlich motiviert sind und Leistungen gerne erbringen wollen.
Der gravierende Unterschied zwischen derzeit schwarzblau und künftig rotgrüner Regierung wird der sein, dass statt einer Politik des Drüberfahrens eine ausreichende und zielführende Diskussion mit den Betroffenen stattfindet, aber auch ewige Verhinderer keine Chance haben sollen. Daher unterstütze ich die Idee, auf die 2/3 Mehrheit im Parlament zu verzichten.
Freundliche Grüße
Günter Wittek
----- Original Message -----
From: Peter Friebel
To: Lehrerforum
Sent: Saturday, June 22, 2002 2:27 PM
Subject: Re: LF: Re: STANDARD - Wochendendausgabe 2/3 Mehrheit
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Günter Wittek schrieb:
> ...
> Es ist nach 40 Jahren höchst an der Zeit zu überprüfen, was derart
> schützenswert in unserem Bildungssystem ist, dass es von keiner
> Regierung demoliert werden darf. Das muss in den Verfassungsrang
> gestellt werden. ...
Ohne die Notwendigkeit einer 2/3-Mehrheit könnte z.B. eine Regierung (etwa eine rot-grüne) die AHS überhaupt abschaffen und durch eine Gesamtschule der 10-14-jährigen ersetzen. In der Oberstufe dürften wir dann 2 Jahre lang versuchen, den Schülern ein paar Grundlagen zu vermitteln, wobei wir auf fast nichts aufbauen könnten. Dann käme ein Modulsystem, bei dem sich die meisten Schüler jene Fächer aussuchen, in denen am wenigsten verlangt wird. Da die Schüler dann in ihrer ganzen Schulzeit nicht viel gelernt haben, muss man natürlich auch die MAtura abschaffen und durch irgendeine Präsentation ersetzen. Denn Präsentieren kann man bekanntlich auch etwas, wo nicht viel dahinter steckt. Wenn die Universitäten dann merken, dass sie auf keinen Grundlagen mehr aufbauen können, werden sie Aufnahmsprüfungen einführen. Und falls Eltern wollen, dass ihre Kinder ordentlich auf ein Studium vorbereitet werden, obwohl eine Regierung das öffentliche Schulwesen ruiniert hat, werden jene, die es sich leisten können, ihre Kinder in Privatschulen schicken - siehe z.B. Frankreich, England oder USA.
In Deutschland hat übrigens bei der PISA-Studie Bayern mit großem Abstand am besten abgeschnitten, dann kommt Baden-Württemberg. Es ist wohl nicht reiner Zufall, dass Bundesländer ohne Gesamtschule vorne liegen.
Da ist es mir lieber, dass wir manchmal mühsame Verhandlungen auf uns nehmen müssen, weil wir eine 2/3-Mehrheit brauchen. Dafür brauchen wir nicht zittern, dass eine Regierung mit knapper Mehrheit alles so ruiniert, dass man es nicht so leicht wieder aufbauen kann. In meinen Augen ist das ein Stück Konsensdemokratie statt Konfliktdemokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Friebel
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