Neues Lernen an cooler Schule
Reformpädagogik in Steyr: Höhere Motivation, bessere Leistungen
Kerstin Scheller
Steyr - Eine Dropoutquote von oft fünfzig Prozent, Zuwachs von Fehlstunden
und Dauerabsenzen, zunehmendes schlechtes Image des Schultyps: Die jüngste
Analyse über den Istzustand an den oberösterreichischen Handelsschulen fiel
miserabel aus. Helga Wittwer und Georg Neuhauser unterrichten an einer
dieser Schulen, der Handelsschule (HASch) und Handelsakademie (HAK) Steyr.
Um ihre Motivation und auch die der Schüler zu steigern, entwickelten sie
ein Modell des offenen Lernens.
Bereits 1997 startete dieser österreichweit erste reformpädagogische
Schulversuch an einer höheren berufsbildenden Schule. Mittlerweile gibt es
fünf solcher "Cool-Klassen" in Steyr (drei an der HASch, zwei an der HAK).
Der Name steht für das Programm von Neuhauser und Wittwer: COoperatives
Offenes Lernen, basierend auf dem Dalton-Plan (siehe unten) mit den drei
Prinzipien Freiheit, Kooperation und Selbstständigkeit.
Seit April bilden Neuhauser und Wittwer im Auftrag des
Unterrichtsministeriums Cool-Lehrer in ganz Österreich aus. Im
Akademielehrgang sollen Kollegen zu Multiplikatoren werden, die
Reformpädagogik in ihrem Bundesland verbreiten.
Schule fürs Leben
Oberstes Prinzip: Schüler sollen wieder fürs (Berufs-) Leben lernen. Denn
die Wirtschaft vermisse, so Wittwers Erfahrungen, bei den HAK-Absolventen
vor allem dynamische Fähigkeiten wie Selbstständigkeit,
Eigenverantwortlichkeit, Konflikt-und Teamfähigkeit. Die Steyrer BMW
Motorenwerke sind auch die Hauptsponsoren des Lernversuchs.
Wesentliche Neuerung im Vergleich zum traditionellen Frontalunterricht: Die
Stunden sind unstrukturiert, die Schüler bestimmen deren Gestaltung. Einzige
Vorgabe: Innerhalb eines bestimmten Zeitpensums soll ein Arbeitsauftrag
erledigt werden. Für Fragen stehen die Lehrer zur Verfügung, sie betreuen
die Teams beim Lösen der Aufgaben. Ein Großteil der Lehrer des Kollegiums in
Steyr stand und steht diesem offenen Lernen skeptisch gegenüber (ein Viertel
des Kollegiums unterrichtet heute Cool-Klassen).
Der Schulversuch wurde von der Uni Linz evaluiert. Die zentralen Aussagen:
"Die fachlichen Leistungen litten durch den Schulversuch nicht
(Notendurchschnitt 2,7, in der Regelklasse 2,85)". Mehr noch: Die Zahl der
"Nicht genügend" sank um die Hälfte.
Auch die Motivation der Schüler stieg laut Evaluierung deutlich, wie "an der
Reduktion der Fehlstunden abgelesen werden kann" (56,7 Fehlstunden in
Cool-Klasse, 115 Stunden sonst). Das Sozialverhalten und dynamische
Fähigkeiten verbesserten sich nach Lehrereinschätzung bei einem Viertel bis
einem Drittel der Schüler.
Diese Ergebnisse von Herbert Altrichter vom Institut für Pädagogik der Uni
Linz überzeugten auch das Unterrichtsministerium. Es richtete in diesem Jahr
an der Steyrer Schule ein "Impulszentrum" ein, das Neuhauser und Wittwer
betreuen.
Ihre Aufgabe ist es, die Akademielehrgänge (viermal eine Woche in zwei
Jahren) zusammen mit Altrichter und zwei weiteren Hochschuldozenten aus Linz
und Innsbruck zu leiten. Aber auch der Aufbau eines Informationszentrums
über offenes, kooperatives Lernen gehören dazu.
Über diesen Erfolg freut sich Neuhauser. Denn diese Reform sei "von unten
nach oben" gegangen: Erst wurde das Projekt in einer Klasse gestartet, heute
sei es Element der Lehrerausbildung an der Uni.
Lesen Sie morgen:
Hilfe durch die
Schulpsychologen
© DER STANDARD, 24. Juni 2002
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