Schädliche Vielfalt?
Betrifft: Interview mit Günter Haider: "Ruf nach Zentralmatura" von Martina
Salomon
DER STANDARD, 29. 6. 2002
Weder kann ich mich für den Vorschlag von Erziehungswissenschaftler Haider
noch für die ultimativen Pro-Kommentare von Martina Salomon begeistern.
Einheitliche Maturafragen bedeuten, dass einheitliches Wissen vermittelt
werden müsste. Der Reiz des österreichischen Bildungssystems liegt nicht
darin, bei der einen oder anderen Schule leichter die Reifeprüfung ablegen
zu können, sondern in seiner gewachsenen Vielfalt. Es gibt sehr viele
Schulen mit spezieller Ausrichtung, sei es in naturwissenschaftlicher
Richtung, in Sprachen, alten Sprachen oder Informatik.
Ich lade die Vordenker gerne ein, die Anzahl der insgesamt nötigen
standardisierten Fragen einmal zu überschlagen, will man die über Jahrzehnte
aufgebauten Strukturen beibehalten. Oder soll jeder Absolvent jeden
Schultyps in den überschneidenden Fächern genau das gleiche Wissen zur
Reifeprüfung besitzen? Wozu dann Sprachgymnasien, wenn der
Französisch-Absolvent eines wirtschaftskundlichen Realgymnasiums genau
denselben Level vorweisen muss?
Was auf der Strecke bleiben würde: erfolgversprechende Schulversuche, die
Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, welche zur Erlangung einer
beruflichen Qualifikation mittlerweile genau so wichtig sind wie das
Beherrschen von fachspezifischen Anforderungen.
Das Ziel, einheitlich gescheite Maturanten zu erhalten, wird auch durch die
Zentralmatura nicht erreicht; und Österreich hat - Pisa hin, Pisa her -
bisher schon viele kluge Köpfe hervorgebracht, die ein deutlicheres Signal
für die Qualität des heimischen Bildungswesens geben als eine umstrittene
Studie, deretwillen einige wenige wieder einmal alles infrage stellen.
Michael Gredler,
Unternehmensberater,
6020 Innsbruck
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