Lieber Koll. Friebel,
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ganz so, wie Sie es darstellen, ist es natürlich nicht. Nicht ich rüttle an den Grundfesten der Demokratie, sondern die Frau Vizekanzler, wenn Sie meint, dass in der Einführungsphase des Deregulierungsgesetzes nicht gewählt werden darf.

Außerdem stimmt das so nicht mit der 5-jährigen Funktionsperiode. Ich bin kein Insider, sondern nur einfacher Wähler einer Personal- vertretung, doch also solcher habe ich gehört, dass die Wahl 99 für eine 4-jährige Funktionsperiode durchgeführt wurde. Und wie passt denn das ins Demokratieverständnis, dass die Gewählten dann in der Periode einfach erklären, dass sie ihre Periode noch um ein weiteres Jahr verlängern. Wenn man vor der Wahl sagt, aus welchen Überlegungen auch immer ist eine längere Funktionsperiode gut und sinnvoll, man beschließt die kommende Periode zu verlängern, dann mag das berechtigt sein, wenngleich ich der Meinung bin, dass die Funktions- perioden mit 2 Jahren angemessen lang wären. Aber es geht ums Prinzip. Die GÖD hat gegen Treu und Glauben verstoßen, und dafür gehört sie einfach abgestraft, und die passende Antwort auf die Arroganz der Macht ist eben das Ignorieren, das Verweigern von Gefolgschaft. Die Spitzen der Gewerkschaft müssen erst wieder lernen, dass sie ihr Mandat, ihren Auftrag, von uns bekommen haben, und deswegen die Mitglieder gefälligst ernst zu nehmen haben. Ohne dieses Ernstnehmen gibt es keine Gemeinsamkeit, sonst agieren diese Funktionäre in einem luftleeren Raum, sie sind defacto bedeutungslos, so als wären sie gar nicht existent. Ich rufe nicht zur Entmachtung auf, durch ihr Verhalten entmachten sie sich selber.

Lieber Kollege, Sie reden hier der schleichenden Einführung der von Haider gewünschten Dritten Republik das Wort. Zuerst wird der Verfassuingsgerichtshof und sein Präsident demontiert, es wird demonstriert, dass die Regierung stärker ist als die Verfassungshüter, damit weniger Widerspruch kommt, und dann lässt sich einfach besser manipulieren. Es musste auch Salmutter abgelöst werden, um die umstrittene Ambulanzgebühr einfacher einführen zu können. Es muss Gaugg an die Spitze der PVA gehoben werden, um den Rentenklau und das Dreisäulenmodell mit verlässlichen Leuten über die Bühne zu bringen. Wir sind - wie in der Zeit nach der Frz. Revolution - auf dem Weg vom Konstitutionalismus zum Direktorium, auf dem Weg in eine Diktatur, willenlose Einheitsgewerkschaften, die sich in Staatsgewerk- schaften umfunktionieren lassen, sind für Haider-Anhänger die idealen Wegbereiter einer solchen neuen Zeit. Und insofern hat auch mein Vergleich mit Argentinien seine volle Berechtigung, auch dort gab es den Peronismus, und die Haidersche Vision von Dritter Republik hat sehr viel mit dem Peronismus zu tun. Und weil dies so logisch und klar ist, deshalb lade ich freundlich ein zum Weiterdenken ...

Ich vertrete nicht einen Hurra-Standpunkt, wonach es nichts Schöneres und Erfreulicheres geben kann als die Anarchie. Aber als die Banken in Argentinien geschlossen hatten, die Spareinlagen nicht mehr verfügbar waren, da musste das Leben auch weitergehen. Das Volk hat aus dem Verlust an Glaubwürdigkeit der Politik meines Erachtens das Beste gemacht, nämlich das Geschick in die eigenen Hände genommen.

Wieder eine Parallele zu Österreich. Der Streit zwischen BM Böhmdorfer und den Banken, der Minister als Vernaderer heimischer Banken bei der EU, wird in u n s e re n Geldtaschen ausgetragen. Die Strafzahlungen für die behaupteten Absprachen werden uns schon, pünktlich mit Bekanntgabe der Entscheidung, abgeknöpft. Jede Bank ist natürlich jetzt, weil lernfähig, auf andere Weise kundenfeindlich kreativ, aber unterm Strich kommt es auf dasselbe Ergebnis heraus. Ein dreifach Bravo zu dieser Politik, nicht wahr? Aber wo blieb der Einspruch der Gewerkschafter gegen diesen Raubzug, wenigstens in der Gewerkschaftsbank? - Ich hab davon nichts bemerkt, obwohl man mir sonst immer nachsagt, dass ich immer das Gras wachsen höre. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.

Freundliche Grüße
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: Peter Friebel
Sent: Wednesday, July 10, 2002 1:39 PM
Subject: Re: LF: Re: das darf nicht wahr sein!!!


Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Den Vorschlag von Koll. Wittek, einfach die gewählten Personalvertreter nicht mehr anzuerkennen, finde ich äußerst undemokratisch. Man kann ja auch nicht mitten in einer Legislaturperiode plötzlich den gewählten Nationalrat nicht mehr anerkennen, nur weil es während der Legislaturperiode keine Neuwahlen gibt (oder weil einem die Zusammensetzung nicht passt).

Im AHS-Bereich, dem Koll. Wittek genauso wie ich angehört, wurden wie in den meisten Bereichen des öffentlichen Dienstes (ich nehme an auch bei den anderen Lehrergruppen?) die derzeit amtierenden Personalvertreter 1999 gewählt.

Da das Gesetz (PVG) eine fünfjährige Periode vorsieht, sind die Personalvertreter bis 2004 gewählt. Wer nicht anerkennt, dass ein Gremium für die Dauer gewählt ist, die im Gesetz vorgesehen ist, bzw. dass für eine frühere Beendigung der Funktionsperiode (etwa eine Abwahl) die im Gesetz vorgesehene Vorgangsweise einzuhalten ist, stellt damit die Grundfesten der Demokratie in Frage.

Falls ein PV-Gremium als Ganzes (mit 2/3-Mehrheit) seinen Rücktritt beschließt oder von der Dienststellenversammlung abgesetzt wird, ist gemäß PVG natürlich vor 2004 eine Wahl durchzuführen.

Der Absatz über Südamerika im unten zitierten Mail soll doch hoffentlich kein Aufruf, die Demokratie durch die Anarchie zu ersetzen, sein?

Liebe Grüße
Peter Friebel


Günter Wittek schrieb:
>
> Liebe Kollegin Kranz,
>
> es kommt nicht darauf an, dass PV-Wahlen abgeschafft oder durchgeführt
> werden, es kommt darauf an, welche Antwort wir auf dieses Ansinnen
> geben.
>
> Wenn wir sagen, es gibt keine "gewählten" Personalvertreter mehr, also
> vertreten wir alle ab heute unsere Interessen selber und wir sind ab
> heute alle unsere eigenen Personalvertreter, na wetten, dass dann bald
> die "organisatorischen Probleme" gelöst werden können. Es ist doch
> immer schon ein Hemmschuh gewesen, dass einzelne Leute die Stimmen der
> Kollegenschaft bekommen sollen, damit die anderen gefälligst stumm
> bleiben sollen. Schluss damit, ich bin damit einverstanden. Denn reden
> wir erst einmal selber und bleiben wir am Ball, bis wir etwas
> durchgesetzt haben, dann wird sich nachhaltig etwas bewegen.
>
> Auch der Vergleich mit dem Parlament ist gar nicht so schlecht. Das
> System funktioniert ja nur deswegen, weil wir es tagtäglich
> anerkennen. In Südamerika, besonders in Argentinien, ist es so, dass
> dem weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung sämtlich Gesetze völlig
> egal sind, es haben sich neue Strukturen herausgebildet, eine "neue"
> Demokratie. Es sollte uns nur klar sein, dass diese Regierung auch
> Österreich auf diesen (auf den ersten Blick etwas abenteuerlich
> anmutenden) Weg führt.
>
> Es gibt 2 Möglichkeiten. Wir bekämpfen die Lobbies, die unsere
> bisherige repräsentative Demokratie ad absurdum führen, oder wir
> lassen uns auf das Abenteuer ein. Die Schweizer Sozialdemokratie
> bekämpft nun aus Anlass des Rentenklaus massiv die Stiftungslobbies,
> und nennt die Namen der Verantwortlichen. Das müsste in Österreich
> auch geschehen, d.h. nicht die Namen der "ausführenden Beamten",
> sondern die Namen der wirklichen Verursacher.
>
> mkG
> Günter Wittek






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