Profil 21 07 02
Schutz wovor?
Was Lehrende angreifbar macht, ist nicht die Tatsache, dass sie Noten vergeben.
Von Elfriede Hammerl
Ferien. Ein guter Zeitpunkt, um – sozusagen aus beruhigter Distanz – über Lehrerinnen und Lehrer nachzudenken. Kernfrage: Wie viel Schutz brauchen sie? Vor was oder wem sollen sie, wenn überhaupt, geschützt werden und wodurch?
Mit anderen Worten: Pragmatisierung oder nicht?
Die Befürworter des Kündigungsschutzes führen immer ein und dasselbe Argument ins Treffen: Die Berufsgruppe der Lehrenden dürfe keiner willkürlichen Einflussnahme ausgesetzt sein, weil sie schließlich so was Schicksalsentscheidendes wie Noten zu vergeben habe.
Ach, nur darum geht’s? Um die Noten? Um Aufstieg, Einstieg, Karrierechancen, Futtertröge?
Und was ist mit den Inhalten, die Lehrende lehren? Was ist mit dem Einfluss, den sie ihrerseits auf die Lernenden haben?
Ich hätte gedacht, Lehrende müssten in erster Linie vor willkürlicher Einflussnahme auf die Inhalte geschützt werden, die sie guten Gewissens weiterzugeben gewillt sind.
Das kommt nämlich schon vor (vor allem in kleineren Gemeinden): dass wütende Eltern zur Direktion rennen und Sanktionen für Lehrpersonen fordern, die im Zeitgeschichteunterricht Zweifel am segensreichen soldatischen Wirken des Großvaters geweckt haben; oder die den jugendlichen Seelen durch einen Besuch von Mauthausen schaden wollen; oder die die Kinder auch nur gebeten haben, nicht „Frau Lehrer“ zu ihnen zu sagen, weil es für weibliche Menschen weibliche Bezeichnungen gebe.
Nun kann man sich auf den wahrscheinlich berechtigten Standpunkt stellen, dass kaum ein Direktor oder eine Schulinspektorin einer nicht pragmatisierten Lehrperson wegen einer solchen Beschwerde mit Versetzung oder gar mit Kündigung drohen wird.
Trotzdem erscheint mir die Gefahr, dass Lehrerinnen und Lehrer im Zuge politischer Veränderungen ideologisch unter Druck gesetzt werden könnten, allemal größer als die Gefahr, dass sie wegen der Notengebung ungerechtfertigt existenzbedrohenden Ärger kriegen.
Andererseits stellt sich natürlich auch die Frage, wie Lernende vor möglicherweise merkwürdigen Lehrinhalten geschützt werden sollen, die unkündbare und auch ansonsten unangreifbare Lehrpersonen vielleicht an sie weitergeben.
Ich denke hier zum Beispiel an die Biologielehrerin eines mir gut bekannten Kindes, die die These vertrat, dass so was wie weibliche Genitalverstümmelung nur in der Fantasie entmenschter Emanzen vorkomme.
Oder an den Geschichtelehrer eines mir gut bekannten Schülers, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, wenn man seine Bewunderung für die Monarchie und den Adel nicht teilt.
Oder an eine meiner eigenen Lehrerinnen, die uns predigte, dass die Abschaffung der Sklaverei der größte Fehler in der amerikanischen Geschichte gewesen sei.
Natürlich kann man der Meinung sein, dass Kinder Wissen auch von den Eltern beziehen sollen und dass es zu den Aufgaben der Eltern gehört, sich der Diskussion über Informationen (oder Fehlinformationen) zu stellen, die Kinder von anderswoher heimbringen.
Trotzdem bleibt die Vorstellung unbehaglich, dass Jugendliche womöglich ausgerechnet in der Schule mit Thesen gefüttert werden, die die Eltern für bedenklich halten.
Was tun? Wer schützt die Lehrenden vor dem Druck der Eltern, die Kinder vor dem Druck der Schule und die Schule vor dem Druck politischer Machtverhältnisse?
Die Definitivstellung der Lehrenden wahrscheinlich nicht, wenngleich man darüber grübeln könnte, warum die Abschaffung des Kündigungsschutzes ausgerechnet von einer Partei durchgepeitscht wird, die nicht gerade durch ihren Respekt vor demokratischer Meinungsvielfalt hervorsticht. Auf jeden Fall wird sich keine Lösung finden, solange man die Problematik nicht richtig wahrnimmt.
Nicht die Noten sind das Instrument, mit dem Lehrerinnen und Lehrer die Kinder und ihre Zukunft maßgeblich in der Hand haben. Der Unterricht ist es.
Dass das in der Debatte um die Pragmatisierung so gut wie nie zur Sprache kommt, sondern dass stattdessen gebetsmühlenartig wiederholt wird, die Macht der Lehrenden liege in der Notengebung, ist wahrscheinlich symptomatisch für eine Gesellschaft, die zunehmend nur mehr in den (sozialdarwinistischen) Kategorien von Konkurrenz, Durchsetzen, Siegen und Ausbooten denkt und für die Zeugnisnoten daher der sichtbare Ausdruck des Gewinnens oder Verlierens sind.
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