PRESSE 26 07 02
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Buben und Mädchen - der große Unterschied?
Die Kinder dürfen nicht wieder in geschlechts-
spezifischen Schubladen landen.
GASTKOMMENTAR VON JOSEF SMOLLE
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Der Autor ist Arzt und Universitätslehrer in Graz
Bleibt die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein kurzes Intermezzo von wenigen Jahrzehnten im Laufe von Jahrtausenden?
Diese Frage stellt sich, wenn man den jüngsten politischen Vorstoß, der die Koedukation in bestimmten Bereichen wieder aufheben möchte, betrachtet. Wurde in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch jede Andeutung, Männer und Frauen oder Buben und Mädchen könnten verschieden sein, verbal und emotional niedergeknüppelt, wird nun umgekehrt die Ungleichheit - geläutert, gewendet und neu eingekleidet - zum politisch korrekten Prinzip erhoben. Mädchen und Buben haben zu Naturwissenschaften beziehungsweise Sprachen einen jeweils unterschiedlichen Zugang. Daten zu diesem Thema liegen seit vielen Jahren vor. Neuerdings ist es wieder opportun, entsprechende Publikationen zu zitieren. Rechtfertigen die Ergebnisse jedoch, Buben und Mädchen in einschlägigen Gegenständen getrennt zu unterrichten? Ist dann der Unterricht noch gleichwertig? Was kann das für die Praxis bedeuten?
Zum ersten wird dadurch den Geschlechtern die Möglichkeit vorenthalten, den Zugang des jeweils anderen zu einem Problem kennen zu lernen. Für einen Buben kann es förderlich sein, zu sehen, wie ein Mädchen eine Aufgabe löst, und umgekehrt. Auch die Einsicht, daß jemand anderer etwas besser kann als man selbst, ist nichts Schlechtes, sondern vielmehr ein notwendiger Schritt sozialen Lernens.
Zum zweiten sind die kolportierten Unterschiede zwischen den Geschlechtern statistischer Natur, das heißt, daß die durchschnittlichen Unterschiede keinesfalls für jede einzelne Person gültig sein müssen. Wird es zum Beispiel einem sprachbegabten Buben möglich sein, gemeinsam mit den Mädchen unterrichtet zu werden? Darf umgekehrt ein mathematisch begabtes Mädchen in der "Bubenmathematik" mitmachen? Wird es einer Mini-Sufragette bedürfen, die durchkämpft, endlich am für sie "richtigen" Unterricht teilnehmen zu dürfen, ähnlich wie die erste Frau, die an der Universität Chemie oder Physik studieren durfte? Es gibt ja Mädchen, die sich im Turnunterricht bei Jazzgymnastik und Bänderschwingen langweilen und lieber Fußball spielen möchten. Soll man diese Form des Frusts jetzt auf die kognitiven Fächer übertragen?
Zum dritten soll das weitere Leben ein partnerschaftliches zwischen den Geschlechtern werden und die Schule soll darauf vorbereiten. Im Berufsleben gibt es keine getrennten Karriereschienen für Männer und Frauen, sondern alle sollen miteinander das Beste aus ihren spezifischen Fähigkeiten machen. Die Schule würde ein falsches Signal setzen, wenn sie gerade in Fächern, in denen es besonders um intellektuelle Herausforderung geht, künstlich eine Isolation herbeiführte.
Letztlich hat die Diskussion aber auch etwas Positives. Es wird offen darüber gesprochen, daß Kinder unterschiedlich sind; daß sie unterschiedliche Begabungen und unterschiedliche Entwicklungen zeigen. Gute Pädagoginnen und Pädagogen sind seit jeher auf solche Unterschiede eingegangen. Es ist sinnvoll, in der Lehrerausbildung diesen Anforderungsaspekt zu berücksichtigen. Unterschiede werden auch ungleich auf die Geschlechter verteilt sein, eine diesbezügliche Bewußtseinsbildung kann hilfreich sein. Kinder auf Grund ihres Geschlechts wieder rollenspezifisch zu etikettieren und in Schubladen zu stecken, wird bei bester Absicht eine neue Diskriminierung schaffen.
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