Computer verdrängen Goethe aus der Schule

Computer verdrängen Goethe aus der Schule
Kritik an Gehrer-Plan, Deutsch in EDV
umzuwidmen



Lisa Nimmervoll / Conrad Seidl


Wien - "Die Frau Ministerin liebt halt die Computer." Mit einem Augenzwinkern erklärt sich
Wendelin Schmidt-Dengler, Germanistikprofessor an der Universität Wien, den Plan von
Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (VP), künftig in der ersten Klasse Gymnasium statt fünf nur
noch vier Wochenstunden Deutschunterricht vorzuschreiben, und die eine Stunde für
Textverarbeitung mit Computern zu verwenden.

FPÖ-Generalsekretär und Bildungssprecher Karl Schweitzer urteilt deftiger: "Ein Witz ist das! Das
Instrument der Muttersprache zu beherrschen ist der Schlüssel zur Entfaltung der Persönlichkeit."
So lange Schulgesetze einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, halte er es für unwahrscheinlich, dass
"Informations- und Kommunikationstechnologien" einen Teil des Deutschunterrichts ersetzen
könnten.

Tatsächlich findet auch Schmidt-Dengler die Idee eine "völlig verhatschte Angelegenheit, die nicht
besonders gescheit ist. Der Verlust jeder Stunde Deutsch ist fundamental, gerade in der ersten
Klasse." Kein anderes Fach sei "so wichtig für die Selbstartikulation wie der Deutschunterricht -
und das ist eine Stunde Computer sicher nicht". Ihn befremde das "Eindringen der
Datenverarbeitung in alles".

Schmidt-Dengler vermutet indes auch ein eher profanes Motiv für die EDV-Offensive: "Das ist eine
echte Masche, ein bisschen volksfreundliches Gehabe: Bei Computer glauben alle, da steckt alles
dahinter, was wir brauchen."

Fritz Enzenhofer, Präsident des oberösterreichischen Landesschulrats und einer der Erfinder der
Deutschstunden-Umwidmung, widerspricht: "Es geht nicht nur um Literatur. Die Liebe zur Literatur
wird nicht nur im Alter von zehn Jahren geweckt - außerdem ist Deutsch ist nicht nur
Literaturkunde. Dass man lernt, eine Tageszeitung zu lesen oder sich Hintergrundinformation aus
dem Internet zu suchen, das gehört heute genauso zur Bildung."

SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl kritisiert genau aus diesem Grund die "isolierte
Vermittlung einer Technik auf Kosten der Sprach- und Schreibfähigkeit". Der Computer sollte in
allen Fächern als Hilfsmittel integriert werden.

Grünen-Bildungssprecher Dieter Brosz lehnt die Stundenumwidmung ab. Stattdessen sollte EDV
in der ersten Klasse als unverbindliche Übung angeboten werden.

"Positiv und produktiv nutzbar" schätzt der Präsident der Akademie der Wissenschaften,
Germanist Werner Welzig, die Stundenverschiebung von Deutsch zur EDV ein. "So sehr der Plan
aufs Erste ein ,Weg von Goethe und Schiller' zu sein scheint, ist der Umgang mit Computer und
Internet auch sehr text-und sprachbezogen."
Kommentar der anderen S. 35



© DER STANDARD, 3./4. August 2002
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