Frankfurter Rundschau 08 08 02

Abstürzende Schulsachen

Gymnasialklassen arbeiten in allen Fächern mit Laptops

Von Sigrun Müller-Gerbes

GÜTERSLOH. Von Technikbegeisterung keine Spur. Kein hektisches Bearbeiten der Tastatur, kein "Denglish"-Fachsimpeln über Software-Upgrades, keine glänzenden Augen beim besonders genialen Hack. Stattdessen: Das Ding nervt. Ist schwer zu schleppen. Stürzt ab. Und hat wieder einen Text einfach gefressen, sonst müssten die Hausaufgaben ja irgendwo zu finden sein.

Nein, geliebt wird der Laptop in dieser 9. Klasse des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums (ESG) in Gütersloh nicht. Allenfalls ausgepackt wie ein Lesebuch oder den Zirkel. Wer liebt schon seine Schulsachen? Aber das Gerät wird benutzt, täglich und in fast allen Fächern. Seit fast vier Jahren läuft in Gütersloh ein Schulversuch, der Ernst macht mit "Schulen ans Netz" und der populären Forderung vom "Laptop in jeden Schulranzen". Drei von fünf siebten Klassen sind komplett mit mobilen Rechnern ausgestattet. Bis Klasse 10 wird das Gerät systematisch in den Fachunterricht integriert.

Zum Beispiel in Deutsch. Lehrer Dietmar Schade bespricht die Hausaufgaben. Aus einem Roman über den Nordirland-Konflikt - der im Englischunterricht parallel in der Originalsprache gelesen wird - sollten die Schülerinnen und Schüler die Erlebnisse der Hauptpersonen herausarbeiten und als Texte eines imaginären Tagebuchs formulieren.

Nicht mehr nach der Masche: Einer liest vor, nach kurzer Debatte erläutert der Lehrer, warum es gut war. Oder schlecht. Und das Heft wird weggepackt. Hier läuft das anders: Kurz werden gemeinsam die Kriterien besprochen, nach denen die Aufgaben-Texte bearbeitet werden sollen. Dann klappen 20 Computerdeckel nach oben. Über den Schulserver stellen sich die Schüler ihre Hausaufgaben gegenseitig zur Verfügung, setzen sich in Arbeitsgruppen zusammen und diskutieren die Texte. Gemeinsam wird gekürzt, redigiert, überarbeitet. Ergebnis: 20 Tagebuch-Notizen in ähnlicher Länge, stilistisch geglättet, aus Sicht der Klasse bereit zur Veröffentlichung auf der Homepage, die das Ergebnis der Arbeit dieses Schulhalbjahres sein wird.

Schulleiter Ulrich Engelen ist von solchen Einsatzmöglichkeiten begeistert: "In den letzten 30 Jahren habe ich so etwas nicht erlebt, dass ein Schüler Anregungen und Kritik in die Hausaufgaben einarbeitet." Aus seiner Sicht sind die Erfahrungen mit der neuen Technik im Unterricht eindeutig: "Es wird sehr viel intensiver mit und an Texten gearbeitet." Das mag paradox klingen in einer Zeit, in der es modern ist, den Computer für Leseunlust und orthographische Schwächen der Jugendlichen verantwortlich zu machen. Aber Engelen ist überzeugt, dass sich die Schule "heute moderner Mittel bedienen muss, um die gute alte philologische Attitüde zu stärken".

Folgerichtig ging es ihm beim Start des Projekts nicht darum, die Schüler "fit zu machen für das IT-Zeitalter", wie es heute der Schule immer wieder abverlangt wird. Sondern die Technik hatte von Anfang an dienende Funktion. "Wir fragen bei jeder technischen Neuerung zuerst: Lässt sich mit ihr die Lehre verbessern, ist sie für pädagogische Zwecke geeignet?"

Ein klares Ja beim Laptop. Die Schülerinnen und Schüler sitzen nicht isoliert am Rechner, im Gegenteil: der Laptop wird vor allem in Phasen der Gruppenarbeit genutzt, zum Austausch von Informationen und zur gemeinsamen Arbeit. Engelen zufolge beschäftigen sich die Schüler der Laptop-Klassen intensiver mit Texten aller Art und produzieren vor allem mehr eigene Texte. Und Mädchen nutzen das Gerät genauso selbstverständlich wie ihre Schulkameraden.

Die wissenschaftliche Evaluation des Schulversuchs, durchgeführt an der Universität Berlin, liegt erst im Spätsommer vor. Aber so viel meint Engelen bereits zu wissen: Das Büffeln von Computerprogrammen - Standardanwendungen wie Word und Excel - geht offenbar nicht zu Lasten des klassischen Curriculums. Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik in Klassen mit und ohne Laptop-Ausrüstung ergaben gleich gute Schüler-Leistungen. Die gewachsene Lern-Motivation der Jugendlichen färbt auf die Lehrer ab: Zu Beginn gab es nur "eine Hand voll Interessierter", berichtet Engelen. Im kommenden Schuljahr wird mehr als die Hälfte aller ESG-Lehrer mit dem Laptop arbeiten. Kürzlich musste das Kollegium darüber beraten, ob die Laptop-Arbeit auch nach dem Ende des Schulversuchs - und nach Auslaufen der Förderung durch die Bertelsmann-Stiftung - fortgesetzt wird. Keine Gegenstimme.

Trotz großzügiger Unterstützung von Unternehmen müssen auch die Eltern rund 30 Euro monatlich für die technische Infrastruktur bezahlen. Nach Abschluss der zehnten Klasse gehört der Mobil-Computer dafür auch den eigenen Sprösslingen. Ein Solidarfonds sorgt dafür, dass auch Kinder aus sozial schwachen Familien in die Laptop-Klassen gehen können.

Detlev Schnoor, Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung, ist überzeugt, dass sich ein ähnliches Kooperationsmodell auch anderswo verwirklichen lässt. In Nordrhein-Westfalen arbeiteten bereits zwei Gymnasien ähnlich, unterstützt unter anderem von der örtlichen Sparkasse. Und in einer anderen Kommune plant man derzeit einen Flächenversuch: 1000 Schüler sollen mit Rechnern ausgestattet werden. Schnoor ist "sehr optimistisch, dass sich das durchsetzen wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Eltern durchweg bereit sind, für ihre Kinder derart sinnvolle Investitionen mitzufinanzieren."



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