S.g. Kollege Wallner,
Ich habe nirgends behauptet, dass eine richtige Konjunkturpolitik auf Österreich beschränkt bleiben soll. Mir ist klar, dass die europäischen Volkswirtschaften aufs engste miteinander verknüpft sind. Aber soll die Regierung die Sorge, dass ein Teil des größeren Volkseinkommens für südafrikanische Weintrauben ausgegeben wird, von einer Anhebung der Löhne und Gehälter abhalten?
Um den Rest Europas mache ich mir weniger Gedanken, denn insbesondere dort, wo es Richtungsgewerkschaften gibt, die miteinander im Wettbewerb um die Zustimmung ihrer Anhänger stehen, dort wird sich eine kämpferische Arbeitnehmerpolitik durchsetzen. Aber in Österreich habe ich größte Bedenken, dass die Funktionäre der Einheitsgewerkschaft vom Gift neoliberalen Denkens dermaßen angesteckt sind, dass sie nicht in der Lage sein werden, die Bedürfnisse und Wünsche der Mitglieder zu erkennen und dementsprechend handeln werden. Der Herr Knafl ist ja kein Einzeltäter, er ist einer aus einer ganzen Gruppe von Gleichgesinnten.
Und noch etwas: Viele Einkommen bewegen sich in die Richtung, dass lediglich noch die Existenzerhaltung damit sichergestellt werden kann (gerade im Öffentlichen Dienst). Wenn Leute aber etwas schaffen wollen, gerade auch dann, wenn es nach dem Hochwasser um Wieder- aufbau geht, dann sind langfristig Einkommen nötig, die deutlich über dem liegen, was zur reinen Existenzerhaltung nötig ist. Fast alle Ausgaben, die zur Wiederrichtung, zur Neubeschaffung nach der Hochwasserkatastrophe geleistet werden müssen, gehen doch zum überwiegenden Teil in unsere Volkswirtschaft. Und deswegen wird von der Katastrophe auch ein erheblicher wirtschaftlicher Impuls ausgehen, wenn die Leute dazu in der Lage sind. Das kann man nicht allein durch einmalige Spenden erreichen, sondern dazu gehört auch als Ergänzung eine richtige Lohnpolitik. Über den Tag und über den Anlass hinaus.
Europa wird derzeit neu geordnet. Der Europa-Konvent wird vorbereitet. Europa soll eine neue Verfassung bekommen. Und da ist es ein Anliegen der SPÖ, Caspar Einem hat dies in einem Vortrag vor einigen Wochen deutlich dargelegt, dass die Anliegen des Volks- begehrens "Sozialstaat Österreich" übertragen und umgeschrieben werden auf einen ähnlichen Text, den man "Sozialstaat Europa" benennen könnte, dass alle Mitgliedsländer der EU sich zum Prinzip des Sozialstaates bekennen, nicht nur zu einer Existenzsicherung der Menschen, sondern zu einer gerechten Teilhabe an dem erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtum. Diese Vorstellungen verwirklichen sich nicht von alleine, um diese Ideen umzusetzen braucht es starke Bewegungen, die dahinter stehen.
mfG
Günter Wittek
----- Original Message -----
From: Erich Wallner
To: Günter Wittek
Cc: Lehrerforum
Sent: Monday, August 19, 2002 7:18 AM
Subject: Re: LF: Re: Re: Knafls Katastrophen-Vorschlag!
Günter Wittek wrote:
> Sg. Koll. Adam,
>
> Ich glaube mich daran erinnern zu können, dass wir im LF uns
> ausgemacht haben, Beiträge zu unterlassen, die die Intelligenz der
> Mitleser unterfordern und deshalb als dümmlich bezeichnet werden
> müssen.
>
> Falls Sie meine Vorbemerkung zum Presse-Artikel gelesen haben, so wird
> Ihnen hoffentlich nicht entgangen sein, dass ich - wie fast alle
> Nationalökonomen - die Probleme des Staatshaushaltes in einem engen
> Zusammenhang sehe mit der Konjunktur. Diese derzeit sehr schwächliche
> Konjunktur kommt aber nur dann in Schwung, wenn die Menschen in
> unserem Land endlich wieder ein bisserl mehr im Börserl haben als
> bisher. Schon Henry Ford sagte, dass Autos keine Autos kaufen, und
> daher müsse man die Arbeiter in der Autofabrik anständig entlohnen.
>
> Wer jetzt denkt, dass der Staat nur so viel ausgeben darf, wie im
> Staatssäckel ist, der denkt volkswirtschaftlich dumm. Denn mehr
> Ausgaben zugunsten der Menschen belebt die Konjunktur und bringt dem
> Staat viel mehr Einnahmen, die Ausgaben machen sich
> volkswirtschaftlich bezahlt!
S.g. Kollege Wittek!
Eine kleine Dosis Ihres 1. Absatzes hätte bei der Formulierung ihres zweiten und dritten auch nicht geschadet.
Deficit spending ist eine durchaus zweischneidige Angelegenheit. Wenn ein Bezieher eines kleinen Einkommens mehr Geld im Börsel hat, was macht er dann damit? Kauft er vielleicht mehr Brot, Milch und steirische Äpfel, um die heimatliche Landwirtschaft zu stärken? Ich weiß nicht, ob Sie regelmäßig im Supermarkt einkaufen gehen oder ob Ihre Frau das erledigt - aber schauen Sie einmal, wer die Erdbeeren im November und die Weintrauben im Februar kauft; das sind nicht durchwegs nur Frauen in teuren Pelzmänteln oder Männer mit Anzug und Krawatte. Und wenn jemand jahrelang Urlaub nur auf Balkonien verbracht hat und plötzlich zu etwas Geld kommt - kann man es ihm verübeln, wenn er einmal nach Italien fährt? Ich habe nix gegen Italien - aber wo ist der prinzipielle Unterschied (bezogen auf die von Ihnen im zweiten Absatz angesprochene [österreichische] Konjunktur)zwischen einem italienischen Hotel und einem europäischen Konsortium namens EADS (= Eurofighter)? Von der Autoindustrie will ich gar nicht reden, in die ja auch ein ordentlicher Brocken der österreichischen Haushaltseinkommen fließt (soviel ich weiß, sind bei uns fast 3 Millionen PKW zugelassen).
Fazit: Deficit spending kurbelt schon die Konjunktur an - aber wo? Irgendwann einmal muß das Defizit wieder eingespart werden (auf den zweiten Teil des Mechanismus wird ja gerne vergessen), und dann stellt sich plötzlich heraus, daß ein kräftiger Anteil des zurückzuzahlenden Defizits in die Konjunkturbelebung im Ausland geflossen ist. Ja - wenn alle gleichzeitig deficit spending betrieben, dann würden sich diese Effekte wieder ausgleichen - aber es scheint so zu sein wie mit der Abrüstung - wer sie einseitig betreibt, verliert am Ende.
MfG
Erich Wallner
P.S.: Mein Beitrag stellt nur das Prinzip deficit spending in Frage - nicht aber eine anständige Gehaltserhöhung für Beamte, die aus ganz anderen Gründen schon überfällig ist!
--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.or.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.