Sehr geehrter Herr Kollege Digruber,

es klingt zwar recht gut, was Sie hier schreiben, aber es ist meines Erachtens nicht bis zum Ende durchdacht. - Auch eine Antwort von mir an Koll. Wallner ist bisher im LF-Nirwana verschwunden, vermutlich war sie zu lang. Es mag einfach klingen, aber offensichtlich ist es nötig auch das zu
sagen: es gibt nicht nur zwei Denkschulen. Man kann für extreme Positionen in der Nationalökonomie sogar einen Nobelpreis bekommen, und trotzdem erweist sich diese Theorie nachher als falsch! Natürlich gibt es in der Nationalökonomie bzw in der politischen Ökonomie unterschiedliche Denkrichtungen. Wenn Sie daraus ableiten, dass die Nationalökonomie keine Wissenschaft sei, weil sich die Nationalökonomen in ihren Aussagen und Rezepten uneinig sind, so halte ich das für gewagt und gefährlich, weil damit jede Einflussnahme seitens des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen geleugnet wird, daher sich ein "freier Markt" nach den eigenen Gesetzen des Chaos (bzw. der Willkür des Stärkeren) entwickelt. Schauen Sie sich nur an, was geschehen ist: Ende der 90er Jahre setzten die Aktienkurse, besonders Technologiewerte, zu einem bisher unbekannten Höhenflug an, den Unternehmen stand so viel Kapital zur Verfügung, dass es gar nicht mehr sinnvoll investiert werden konnte. Die Neuerungen überschlugen sich. Mein Computerhändler erzählte mir, dass eine namhafte Firma binnen einer Woche 3 verschiedene Modelle einer Webkamera auf den Markt gebracht hat, usw. Diese rasche Weiterentwicklung konnte sich natürlich nicht in Gewinne verwandeln lassen, deswegen kam auch die Ernüchterung. Nach der Spekulation kam der langsame Absturz, immer eingeleitet durch Gewinnwarnungen der Unternehmen. "Gewinnwarnung" wurde zum "Wort des Jahres" 2001 an der Börse. Manche wollten mit der Wahrheit nicht herausrücken und frisierten die Bilanzen. In diesem Jahr wird eine Bilanzfälschung nach der anderen aufgedeckt, das stärkt auch nicht das Vertrauen der Anleger. - In den letzten 2 Jahren hat sich die Situation bereits wieder grundlegend geändert, weil Kapital für sinnvolle Investitionen knapp geworden ist, trotz der massiven Leitzinssenkungen in den USA. Auch die Ökonomen der FED wissen, dass sie jetzt auf Verbrauchervertrauen und Verbraucherverhalten mehr achten müssen als auf die Zinspolitik. - Durch den "Kampf gegen den Terror", verbunden mit einer gigantischen Steigerung der Rüstungsausgaben, fehlt aber das Geld für die Konjunkturbelebung. Europäisches Kapital fließt derzeit extrem in die USA in der Hoffnung auf einen Aufschwung dort, aber bisher findet dort nur Kapitalvernichtung statt. Rüstungsausgaben sind Kapitalvernichtung. Das behindert einen möglichen Aufschwung, das gilt auch in Österreich betr. Abfangjäger. Die Politik braucht ökonomische Handlungsanleitungen, um sinnvoll die Wirtschaft zu lenken. Der Verzicht auf Konzepte oder die Umsetzung falscher Konzepte (selbst wenn sie von der Weltbank eingefordert
werden!) kann zu katastrophalen Ergebnissen führen, siehe Argentinien! [Wobei auch im totalen Zusammenbruch neue Hoffnung stecken kann.]

Sie schreiben: "Schnelle Patentlösungen sind mir immer in höchstem Maße ideologieverdächtig." - Nun müssen wir seit Jahren mit der Patentlösung Nulldefizit leben. Die ist nicht ideologieverdächtig?

Ist denn die Frage falsch: "Wie können wir diese müde Konjunktur wieder in Schwung bringen?" Eine Konjunktur, die letztlich auch die Staatseinnahmen erhöhen wird. Von den Finanzmärkten kommen keine Impulse, die Spekulanten treiben die Kurse derzeit noch weiter nach unten, obwohl viele Aktien derzeit schon deutlich unterbewertet sind. Wenn die Finanzmärkte aber gegen die volkswirtschaftlichen Interessen agieren, so wäre weltweit zu überlegen, ob nicht der zügellosen Spekulation Einhalt geboten werden soll, ob nicht Bandbreiten vorgegeben werden sollen, innerhalb derer Wertpapiere schwanken können, ob nicht eine staatliche (internationale) Aufsicht über den Handel an den Finanzmärkten geboten ist, zumal immer mehr Leute dazu angehalten werden privat für das Alter vorzusorgen. Ist es dann logischerweise nicht richtig zu verlangen, dass der Staat auch eine Mitverantwortung für die Sicherheit der Wertanlagen übernimmt?

Ich finde es unverantwortlich, die jüngere Generation diesen schwer durchschaubaren "Gesetzen des freien Marktes" auszuliefern, sie indirekt zwangsweise zu Mitspielern zu machen, aber sie nicht zugleich auch mit dem dafür erforderlichen Wissen auszustatten.

mfG
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: Karl Digruber
To: Erich Wallner
Cc: guenter.wittek@chello.at ; lehrerforum@ccc.at
Sent: Tuesday, August 20, 2002 12:38 AM
Subject: Re: LF: Re: Re: Knafls Katastrophen-Vorschlag!


Sehr geehrter Herr Kollege Wallner!
Ich bin sehr froh, dass Sie das Bild, das Koll. Wittek zeichnet, ins rechte (pardon, richtige) Licht rücken. Es gibt nun doch immerhin zwei Denkschulen, was Nulldefizit und Deficit-spending betrifft. Auch unsere profunden Nationalökonomen - und Koll. Wittek, nicht böse sein, aber dazu zähle ich Sie nicht
- sind sich da uneins, ob nur die Erhöhung von Einkommen den Effekt der Konjunkturankurbelung hat, oder ob es auch ein gewisses Maß an Sparen braucht, damit die Wirtschaft gesundet. Ich erlaube mir eine ketzerische Bemerkung: So eine stringente Wissenschaft, wie sie vorgibt, ist die Nationalökonomie tatsächlich nicht, aber das Mäntelchen ist recht imposant. Ich bekenne ganz offen, dass ich keine Patentlösung kenne und dass ich mich auch nicht anmaße, eine zu haben. Schnelle Patentlösungen sind mir immer in höchstem Maße ideologieverdächtig. Und ich lehre auch meine Schülerinnen und Schüler - soweit überhaupt so etwas lehr- bzw. lernbar ist (ein Widerspruch in sich fürwahr) - da eine gewisse Skepsis an den Tag zu legen. Da hätte ich mir vom Kollegen Wittek in seinen dem ersten nachfolgenden Absätzen - wie Koll. Wallner - ein Mehr an jenen Kriterien gewünscht, die er noch im ersten Absatz beschwört. Tatsache ist: Ohne eine deutliche Gehaltserhöhung im Öffentlichen Dienst wird`s diesmal nicht gehen, und das hat auch Fritz Neugebauer schon signalisiert. Noch zu einem anderen Thema, mein diesbezügliches Mail ist leider im Nirwana
verschwunden: Natürlich werden bei Selbstkündigung des Beamten und Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis die erworbenen Pensionszeiten in die PV der Angestellten übernommen. Nur nach Disziplinarstrafen kann der Beamte seine Pensionsrechte verlieren. Er kann aber u.U. sogar eine Abfertigung erlangen. MfG Karl Digruber
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