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Von: owner-lehrerforum@ccc.at [mailto:owner-lehrerforum@ccc.at] Im Auftrag von Günter Wittek
Gesendet: Montag, 19. August 2002 09:02
An: Lehrerforum
Betreff: Re: LF: Re: Re: Knafls Katastrophen-Vorschlag!
S.g. Kollege Wittek!
Diesmal Zwischentext:
G.W.: Ich habe nirgends behauptet, dass eine richtige Konjunkturpolitik auf Österreich beschränkt bleiben soll. Mir ist klar, dass die europäischen Volkswirtschaften aufs engste miteinander verknüpft sind. Aber soll die Regierung die Sorge, dass ein Teil des größeren Volkseinkommens für südafrikanische Weintrauben ausgegeben wird, von einer Anhebung der Löhne und Gehälter abhalten?
E.W.: Thema unserer Diskussion war deficit spending, nicht Gehaltserhöhungen.
G.W.: Um den Rest Europas mache ich mir weniger Gedanken, denn insbesondere dort, wo es Richtungsgewerkschaften gibt, die miteinander im Wettbewerb um die Zustimmung ihrer Anhänger stehen, dort wird sich eine kämpferische Arbeitnehmerpolitik durchsetzen. Aber in Österreich habe ich größte Bedenken, dass die Funktionäre der Einheitsgewerkschaft vom Gift neoliberalen Denkens dermaßen angesteckt sind, dass sie nicht in der Lage sein werden, die Bedürfnisse und Wünsche der Mitglieder zu erkennen und dementsprechend handeln werden. Der Herr Knafl ist ja kein Einzeltäter, er ist einer aus einer ganzen Gruppe von Gleichgesinnten.
E.W.: Ich glaube, daß es einen Grund hat, wenn Österreichs Gewerkschafter wirklich "vom Gift neoliberalen Denkens" angesteckt sind: Die Historie der Verstaatlichten Industrie in Österreich. Gaugg hieß früher Rechberger - können Sie sich noch erinnern?
Im übrigen ist mir nicht klar, ob deficit spending notwenigerweise eine anti-liberale Position ist. Wenn man es so fundamentalistisch betrachtet, daß jeglicher lenkende Eingriff in die Wirtschaft schon anti-liberal sei, dann müßte man auch das AMS abschaffen.
G.W.: Und noch etwas: Viele Einkommen bewegen sich in die Richtung, dass lediglich noch die Existenzerhaltung damit sichergestellt werden kann (gerade im Öffentlichen Dienst). Wenn Leute aber etwas schaffen wollen, gerade auch dann, wenn es nach dem Hochwasser um Wieder- aufbau geht, dann sind langfristig Einkommen nötig, die deutlich über dem liegen, was zur reinen Existenzerhaltung nötig ist. Fast alle Ausgaben, die zur Wiederrichtung, zur Neubeschaffung nach der Hochwasserkatastrophe geleistet werden müssen, gehen doch zum überwiegenden Teil in unsere Volkswirtschaft. Und deswegen wird von der Katastrophe auch ein erheblicher wirtschaftlicher Impuls ausgehen, wenn die Leute dazu in der Lage sind. Das kann man nicht allein durch einmalige Spenden erreichen, sondern dazu gehört auch als Ergänzung eine richtige Lohnpolitik. Über den Tag und über den Anlass hinaus.
E.W.: Bei aller Tragik des Hochwassers wollen wir doch nicht aus den Augen verlieren, daß es deutlich weniger als 10% der Bevölkerung betroffen hat. Hier mit Lohnpolitik zu konterkarieren, paßt einfach nicht.
Daß "fast alle Ausgaben ... zur Wiedererrichtung ... [und] Neubeschaffung ... in unsere Volkswirtschaft" gehen, bestreite ich entschieden. Denken Sie einmal an alles, was mit elektrischem Strom betrieben wird, von der Kühltruhe über den Fernseher zum Computer, zur Stereoanlage, bis zum Rasenmäher - was für österreichische Firmen fallen Ihnen da ein? Von den Möbeln rede ich gar nicht - bei welcher Firma wird man wohl preisgünstige Möbel kaufen?
G.W.: Europa wird derzeit neu geordnet. Der Europa-Konvent wird vorbereitet. Europa soll eine neue Verfassung bekommen. Und da ist es ein Anliegen der SPÖ, Caspar Einem hat dies in einem Vortrag vor einigen Wochen deutlich dargelegt, dass die Anliegen des Volks- begehrens "Sozialstaat Österreich" übertragen und umgeschrieben werden auf einen ähnlichen Text, den man "Sozialstaat Europa" benennen könnte, dass alle Mitgliedsländer der EU sich zum Prinzip des Sozialstaates bekennen, nicht nur zu einer Existenzsicherung der Menschen, sondern zu einer gerechten Teilhabe an dem erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtum. Diese Vorstellungen verwirklichen sich nicht von alleine, um diese Ideen umzusetzen braucht es starke Bewegungen, die dahinter stehen.
E.W.: Ob man ein europaweit konzertiertes deficit spending in einen "Sozialstaat Europa" hineinpacken kann, bezweifle ich. Und hinsichtlich der europaweiten Umsetzung von Maßnahmen nehme Sie mit Ihrem eigenen Beispiel vom Hochwasser beim Wort: Wenn Sie einem solchen wirklich mit deficit spending beikommen wollen, was tun Sie dann, wenn ein Hochwasser blöderweise nur ein Land betrifft?
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