Lieber Kollege Wittek
Sie sind wohl ein Großmeister der Verallgemeinerung. Kein Wort der Unterstützung für den Neoliberalismus oder der Globalisierung lasen Sie in meinen mails. Einzig und allein einen Tatsachenbericht über die Zustände in unseren Universitäten. Der Staat kann mit dem jetzigen Steueraufkommen den raschen Entwicklungen im Bildungssektor nicht nachkommen. Ich bin froh, dass man natürlich im Schulwesen andere Wege beschreitet als im universitären Bereich (keine Schulgebühren). Aber sehen Sie nur, welche Ausstattungen heute in einer Schule erforderlich sind und wie man diese bewerkstelligt. Ich kenne keine Schule die heute ohne Sponsoring auskäme. Früher, als Werbung in der Schule strikt verboten war, kam man auch mit einer hübschen Tafel und mit Kreide aus. Alle anderen Hilfsmittel musste sowieso der Lehrer aus der eigenen Tasche bezahlen. Heute sehen Unterrichtsräume anders aus - und das ist zu finanzieren. Der Schulerhalter ist hier oftmals überfordert. Im Unibereich hat man längst die notwendigen Geräte über Auftragsforschung finanziert. Das geht natürlich auch nur bis zu einer bestimmten Grenze. Vor allem soll auch die Unabhängigkeit der Forschung gewährleistet werden. Der Staat als Geldgeber ist auch aufgrund seiner Trägheit (Anbote einholen-Budgetierung für nächstes Jahr-noch einmal Anbote einholen, weil jene vom Vorjahr nicht mehr aktuell...) nicht optimal geeignet. Bestätigt sehe ich mich auch durch Äußerungen von ÖBB-lern über die Beschaffung einer einfachen Mutter: Zuerst zum Chef-Laufzettel mit 3 Durchschlägen-zum Magazineur-zum Schichtführer,...). Ebenso denke ich, dass eigenverantwortliche Universitäten auch wirtschaftlicher mit dem Geld umgehen können (kein Zwangsverbrauch zugeteilter Budgetmittel) und keine "bevorzugten" Lieferanten. Auch ein Beispiel aus dem ÖBB-Bereich: 1 Rauchfang für eine Dampflok in ÖBB-Zeiten: ATS 600.000.- Nach Ausgliederung aus den ÖBB: 6 Rauchfänge: ATS 600.000.-. Die Beispiele für das Versagen des Staates als Unternehmer könnten noch seitenlang fortgesetzt werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es besser ist, wenn der Staat sich aus Bereichen zurück zieht, wo privatwirtschaftliche Systeme effizienter wären. Unsere Meinungsverschiedenheit begründet sich darin, dass man nicht nur aus volkswirtschaftlicher sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht analysieren muss. Alte Parteiideologien sollten hierbei überhaupt keine Rolle mehr spielen. Schöne Grüße Josef Zwickl
----- Original Message -----
From: "Günter Wittek"
To: "Lehrerforum"
Sent: Sunday, September 01, 2002 12:08 PM
Subject: Re: LF: TREND 09 (2) / Studiengebühren
>
>
> Lieber Koll. Zwickl,
>
> das ist schon großartig, was Sie hier an Selbstaufopferung leisten!
> Was der Staat nicht leisten kann, das will ich auf meine starken
> Schultern nehmen.
>
> Man kann sich anschauen und fragen: "Wer hat ein Interesse daran,
> dass junge Menschen gut ausgebildet werden? Wer hat später einen
> Profit davon, dass qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen?
> Welche Kosten würden erwachsen, wenn die Arbeitgeber die Ausbildung
> selber bezahlen müssten?" - Und aus der Beantwortung dieser Fragen
> ableiten und in Gesetze gießen, wer wie hohe Beiträge zu den
> Ausbildungskosten zu tragen hat (die dann natürlich via Budgetmittel
> an
die
> Unis kommen) .
>
> Der neoliberale Weg schaut natürlich ganz anders aus. Da werden den
> Lohnabhängigen möglichst viele Belastungen auferlegt, sie sollen
> möglichst viele Ausbildungskosten tragen, um dann auch nur die Chance
> auf irgendeinen Arbeitsplatz zu haben. Dieses System führt
> zwangsläufig dazu, dass Arbeitswillige und Qualifizierungswillige aus
> Kostengründen auf Bildung und Ausbildungen verzichten. - Wer dieses
> Prinzip im Grundsatz akzeptiert, der ist schon verkauft und verraten!
>
> Einschränkungen im freien Zugang zu Bildung können nicht akzeptiert
> werden. Die Forderung muss nach wie vor lauten nach finanziell
abgesicherten
> Studien ohne Gebühren über eine ausreichend hohe Anzahl von
> Studienjahren.
>
> mfG
> Günter Wittek
>
>
> PS.: Soll denn "Vollrechtsfähigkeit" bedeuten, dass jeder Leiter einer
> Lehrveranstaltung einen Hut durchgehen lassen soll zur Beschaffung von
> Arbeitsbehelfen, damit Unterricht, eine Lehrveranstaltung überhaupt
stattfinden
> kann? Wahrlich, eine grauenhafte Vorstellung! Bildung am Bettelstab.
>
>
>
>
> ----- Original Message -----
> From: Josef Zwickl
> To: Erich Wallner ; 'Daniela Kranz'
> Cc: lehrerforum@ccc.at
> Sent: Sunday, September 01, 2002 10:46 AM
> Subject: Re: LF: TREND 09 (2)
>
>
> Betrifft Studiengebühren
> Da ich selbst Leidtragender der Einführung von Studiengebühren bin,
> hätte ich vordergründig viele Argumente für deren Abschaffung. Jedoch
beobachtete
> ich genau, wie die Ausstattung unserer Massenuniversitäten immer
> magerer wurde. Das mag vielleicht nicht jeder von Ihnen nachvollziehen
> können,denn unterschiedliche Studienrichtungen haben auch
> unterschiedliche
Anforderungen
> an ihre Ausstattungen. Im Naturwissenschaftsbereich wurde aufgrund der
> Disharmonie zwischen Studentenzahlen und Laborausstattung die
> Situation immer dramatischer. Der Staat als Universitätserhalter kann
> meiner Ansicht nach nicht den immer größer werdenden Bedarf an
> modernen Laborgeräten finanzieren. Daher erscheint es mir-trotz
> persönlicher Betroffenheit- doch richtig, dass man über die
> Vollrechtsfähigkeit der Universitäten und mit
den
> Studiengebühren die Möglichkeit geschaffen hat, den Universitäten
> wieder ausreichende Mittel in die Hand zu geben. Die Zukunft der
> Universitäten
mit
> "prähistorischer" Politik der 70er Jahre wäre eine sehr düstere
> geworden. MfG Josef Zwickl
>
>
>
>
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> (http://www.ccc.or.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu
> lassen, senden Sie ein
e-mail
> an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im
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