Guten Tag!
Während der 2 Wochen Frankreichaufenthalt konnte ich mir einige Eindrücke verschaffen, inwieweit sich durch den Regierungswechsel auch die Bildungs- und Sozialpolitik im Land ändert. Fazit: Sparkurs und Rechtsruck (Law &
Order) überall, aber: heiße - und doch recht sachliche - Diskussionen über die neuen gesetzlichen Ansätze in allen Medien.
Grüße sendet
Timo Davogg
Ein Artikel der heutigen SZ fasst die neue Gesetzgebung, was Gewalt in den Schulen und den Sattellitenstädten der Ballungsgebiete betrifft, zusammen:
http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel8057.p
hp
Lehrjahre in Haft
Frankreichs neue Abschreckungspolitik: 13-Jährige können ins Gefängnis eingewiesen werden
Zum Ende der Ferien erscheint Schulminister Luc Ferry wieder regelmäßig auf dem Bildschirm, der Intellektuelle in der französischen Regierung. Aber nicht nur der Philosoph Ferry beschäftigt sich mit dem Nachwuchs, auch Justizminister Dominique Perben kümmert sich um die Kinder und Jugendlichen – auf seine Weise. Denn nach Schule und Erziehung gehört die Innere Sicherheit zu den Themen, die den Franzosen am wichtigsten sind.
Und Perben hat als einer der ersten eingelöst, was die Konservativen im Wahlkampf versprochen haben. Vorige Woche hat ein von ihm eingebrachtes Gesetz, das vor der Sommerpause in großer Hast verabschiedet worden war, die letzte Hürde genommen. Der Verfassungsrat mit seiner rechten Mehrheit hat gebilligt, was die Nationalversammlung mit noch größerer rechter Mehrheit beschlossen hatte: Neuerdings können auch Kinder ab dreizehn ins Gefängnis kommen. Selbst gegen Zehnjährige können erzieherische Maßnahmen verhängt werden, wie etwa das Verbot, sich an einem bestimmten Platz aufzuhalten. Nach dem „Perben-Gesetz“ sollen zudem etwa 3300 neue Laienrichter eingestellt werden, die sich der „Regelung alltäglicher Konflikte“ annehmen. Sie dürfen Dreizehnjährige in geschlossene Anstalten einweisen.
Denn nach dem Willen der neuen Regierung werden die „geschlossenen Erziehungsanstalten“ wieder eingeführt, in denen Kinder zwischen 13 und 16 Jahren untergebracht werden, wenn sie wiederholt straffällig geworden sind. Doch soll in diesen Häusern der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen. Kinder aber, die abhauen und womöglich wieder straffällig werden, dürfen nun auch in U-Haft eingewiesen werden. Bislang konnten die Gerichte Jugendliche erst ab 16 hinter Gitter schicken. Pädagogen, nicht nur auf der Linken, sind entsetzt. Etliche warnen, dass die geschlossenen Anstalten eine „Vorstufe zum Gefängnis“ und dass „Gefängnis die Schule des Verbrechens“ sei. Doch die bürgerliche Regierung setzt auf Abschreckung. Bislang fühlten sich jugendliche Straftäter fast unangreifbar. Selbst wenn sie festgenommen wurden, mussten sie meist gleich wieder freigelassen werden.
Die Linke sieht in den neuen Paragrafen ein „Gesetz gegen die Armen“. Weil in den Hochhäusern der Vorstädte, da wo die Armen unter sich sind, die Jugendkriminalität besonders stark ist, treffen die Maßnahmen der Regierung meist jene, die ohnehin im Schatten des Wohlstands leben. Andererseits war die Zahl der Verfahren gegen Jugendliche in den Jahren 1995 bis 2000 um mehr als 30 Prozent gestiegen, ohne dass es der inzwischen abgewählten linken Regierung gelungen war, den Trend zu stoppen. Und die Zahl der Gewalttaten von Jugendlichen schien unaufhaltsam zu steigen. Die linke Regierung unter Lionel Jospin wirkte zum Schluss hilflos und resigniert.
François Hollande, als Chef der französischen Sozialisten in sicherer Entfernung von Regierungsverantwortung, verspottet die Nachfolgeregierung: „Victor Hugo hat gesagt: Um die Gefängnisse zu schließen, muss man die Schulen öffnen. Sie machen jetzt das Gegenteil.“
Gerd Kröncke
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