SZ 07 09 02

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Bildung – die endlose Misere

Der Pisa-Schock vom Frühjahr ist überstanden, und passiert ist: nichts

Von Jeanne Rubner

Der Wind des Wechsels ist abgeflaut, verflogen ist die nach den so blamablen Pisa-Ergebnissen entstandene Stimmung, die lautete: Packen wir’s an. Was anfänglich noch parteiübergreifend an Reformen diskutiert wurde, ist dem Wahlkampf zum Opfer gefallen. Statt um Inhalte ging es in den vergangenen Monaten um den Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern. Das ist ärgerlich, weil es vom realen Reformbedarf ablenkt.

Beispiel Kindergarten: Während alle Industrienationen ihre Kinder möglichst früh fördern und ihre Vorschul-Pädagogen an die Hochschule schicken, gilt hier zu Lande Lesen und Rechnen im Kindergarten als tabu. In Deutschland werden vor allem Mädchen mit mittlerer Reife Erzieherinnen – weil man immmer noch nicht von dem Missverständnis lassen will, dass es in diesem Alter nicht auf den Intellekt der Kinder ankommt. Von einer Fachhochschulausbildung für Erzieherinnen aber schrecken Politiker zurück, weil man dann das Personal besser bezahlen müsste. Schon heute sind Städte und Gemeinden derart pleite, dass sie kaum noch die jetzigen Kindergärten bezahlen können.

Beispiel einheitliche Standards: Formell konnten sich die Kultusminister dazu durchringen sie einzuführen, aber schon bei der Kontrolle hört die Einigkeit auf. Bundesweite Tests lehnen sie ab – damit würde an der Länderhoheit gekratzt.

Beispiel Lehrerbildung: Jedes Bundesland wurstelt an einer Reform, von einer einheitlichen Ausbildung ist man weiter entfernt als je zuvor. Ohnehin werden mindestens anderthalb Jahrzehnte vergehen, bis eine anders ausgebildete Lehrergeneration an der Tafel steht.

Beispiel Ganztagsschule: Allenfalls halbherzig wird sie derzeit in einigen Bundesländern eingeführt, als Angebot hier und dort. Teils aus weltanschaulichen, vor allem aber aus finanziellen Gründen wird die Ganztagsschule vorläufig die Ausnahme bleiben; wer viel Glück hat, wird in Zukunft vielleicht einen Platz ergattern können.

Wohltuend pragmatisch muten angesichts der allgemeinem Untätigkeit die Vorschläge der Firma McKinsey an. Die Unternehmensberater haben konkrete Zahlen auf den Tisch gelegt: Deutschlands Bildungssystem auf internationales Niveau zu bringen, wird zwar teuer sein. Eine knappe Milliarde Euro würden bundesweite Tests kosten, inklusive der Unterstützung leistungsschwacher Schulen. Weitere vier Milliarden Euro müsste man aufbringen, um zusätzliche
Krippen- und Ganztagesplätze zu schaffen, Erzieher besser auszubilden und Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern. Aber das Geld wäre gut
angelegt: Bildungsinvestitionen rentieren sich, für den Einzelnen und für die gesamte Volkswirtschaft – sagen die knallharten Rechner von McKinsey.

Doch noch immer ist Bildung unterfinanziert. Die Bundesrepublik gibt mit 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weniger aus als die Industrienationen im Durchschnitt. Selbst das reiche Bayern lässt sich Bildung weniger kosten, als seine Wirtschaftskraft es erlauben würde – so sind in München Schulen von der Schließung bedroht, weil die Stadt pleite ist und der Freistaat knausert. Und wenn auch Rot-Grün den Etat für Bildung und Forschung kräftig erhöht hat, so hat die Koalition ihr Versprechen, die Ausgaben zu verdoppeln, längst nicht eingelöst. Auch im Haushaltsentwurf 2003 soll der Bildungsetat nur bescheiden steigen.

Es gibt, jenseits des Geldes, einen weiteren Grund für die anhaltende
Bildungsmisere: Noch immer erkennen viele Deutsche den Wert der Schule nicht. Während chinesische Eltern viel für die gute Ausbildung ihrer Kinder opfern würden, gilt Unterricht hier zu Lande als selbstverständliches Angebot, das man in Anspruch nimmt, ohne sich dafür anzustrengen. Wenn aber Bildung gering geschätzt wird, bleibt der Druck der Gesellschaft auf die Politik, mehr zu investieren, gering – und Deutschland bildungspolitisch ein Entwicklungsland.



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