Salzburger Nachrichten" vom 09.09.2002Seite: Nr. 209, 58. JahrgangI 0,80
DER STANDPUNKT - Die unbesiegbare Macht ungeschriebener Regeln von RONALD BARAZON
Ein beliebter Satz lautet: In der Politik sei alles erlaubt.
Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall. Die Politik gehorcht ungeschriebenen Gesetzen. Und diese zeigen - früher oder später - ihre Macht. Das muss nun auch Wolfgang Schüssel lernen, der die ungeschriebenenGesetze konsequent verletzt hat.
Die Koalition von ÖVP und FPÖ sei demokratisch legitimiert, ließ Schüssel verlauten. Beide gemeinsam haben in einem ordnungsgemäß abgewickelten Wahlgang eine Mehrheit von 54 Prozent erreicht. Das Wahlergebnis vom Oktober 1999 sei zudem eine Absage an die rotschwarze Koalition gewesen.
Nur: Kaum ein Bürger kam am Wahltag 1999 auf die Idee, dass ÖVP und FPÖ eine Koalition bilden. Schüssel hatte nicht nur diese Möglichkeit vor den
Wahlen ausgeschlossen, sondern auch angekündigt, in Opposition zu gehen, für den Fall, dass die ÖVP auf dem dritten Platz landen würde. Sie landete
auf dem dritten Platz.
Mit der Regierungsbildung im Februar 2000 wurde ein ungeschriebenes Gesetz verletzt: Der Wähler muss wissen, was er wählt.
Die von den Architekten der Wende so gerne strapazierte Mathematik hatte ebenfalls einen schalen Beigeschmack. Niemand wird leugnen, dass die
Österreicher mit den Leistungen der rotschwarzen Koalition nicht zufrieden waren. Die Wähler gaben aber der Kombination Rot-Schwarz 60 Prozent. Also deutlich mehr als der Kombination Schwarz-Blau.
(es folgt teil2)