Lieber Koll. Zwickl,

Ich finde nicht, dass ich zu dick aufgetragen habe.
Versuchen Sie objektiv zu sein und fragen Sie sich, was es für eine Optik macht, wenn Standesverteter einer bestimmten Fraktion die eigenen Leut in ein Licht stellen, so als wären sie alle korrupt und unfähig. Natürlich muss man immer aufpassen, dass nicht irgendwo Misswirtschaft einreißt oder eine falsch verstandene Großzügigkeit, wonach Verschwendung von Steuergeldern zum Kavaliersdelikt wird. Aber das kann man schon so allgemein sagen: Wenn die Privaten erfolgreich sind, dann streichen sie mit großer Selbstverständlichkeit die Gewinne ein. Wenn sie aber versagen, dann gehen sie zum Staat und halten die Hand auf, und fordern mit der Begründung, man müsse ja sanieren, um die Arbeitsplätze zu retten. Wenn Sie es so wollen, dann kann ich mir ein Modell vorstellen, dass dem privaten Sektor so viele Gewinne einbehalten werden, wie sie anderseits vom Staat gefordert werden, um konkursträchtige und heruntergewirtschaftete Unternehmen wieder flott zu bekommen. Die Interessenvertreter der privaten Unternehmen haben es bisher immer unterlassen, selbst Rezepte zu entwickeln, wie sie ihr System aus eigener Kraft flott und tüchtig erhalten können. Es ist schlicht und ergreifend eine falsche Meinung, wenn manche Leute behaupten, dass Konkurrenz zum Vorteil der Konsumenten ist. Ich finde, dass der Staat der Universalversicherer gegen alle sozialen Härten sein soll. Der schon lange eingeschlagene Weg, der in der letzten Periode in atemberaubendem Tempo weitergegangen wurde, ist die immer größere Ausgliederung persönlicher Risken. Mit der zynischen Bemerkung: Wer will, kann sich ja privat versichern. Wer sich nicht privat versichert, der steht im Fall des Falles vor einem Abgrund. Ich kann aus eigener Anschauung sagen, weil mich ich mit der Versicherungsmathematik ausreichend beschäftigt habe, dass für Bezieher kleinerer Einkommen es faktisch unmöglich ist, sich wirklich ausreichend privat zu versichern. Und obwohl es der Branche im Moment nicht gut geht - das Wort des Jahres wird dort wahrscheinlich "Provisionsverzicht" heißen - so sind trotzdem alle Kalkulationen auf Gewinnerwartungen hin ausgerichtet, weil es sich eben bei allen Finanzdienstleistern entweder ausschließlich oder teilweise um AGs handelt. Es ist schlüssig nachzurechnen, dass je größer die Zahl der Anbieter, umso höher die Preise für die Konsumenten. Schauen Sie sich bitte die Diskussion an, die derzeit in der Schweiz geführt wird. Dort hat das Dreisäulenmodell in der Pensionsversicherung dazu geführt, dass die realen Einkommen der Pensionisten um 8 Prozent zurückgehen werden, nur weil die Versicherungsunternehmen die Gelder ihrer Klienten (an der Börse) falsch angelegt haben und damit Milliardenverluste erwirtschaftet haben. Die bürgerlichen Parteien sind sofort bereit das Gesetz zu ändern, und nur noch so viel zur Verteilung zu bringen, wie die Privatversicherer angeben in ihren Kassen zu haben. Kann es das sein, was wir uns wünschen? In meiner Polemik habe ich es negativ formuliert. Der gleiche Gedanke - positiv formuliert - lautet: Wenn der Gesetzgeber den Weg dazu freigibt, dass eine staatliche Institution alle Risken absichert, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind und dafür vernünftigen Wertausgleich schafft, so sind wir in einer gesamtösterreichischen Gemeinschaft besser aufgehoben als bei einzelnen Privatunternehmen, die im Grunde eher eine Illusion von Sicherheit und Geborgenheit verkaufen, als sie diese in Wahrheit auch anbieten können. (Oder plakativ: Besser ist der Staat als privat! .. Aber mit Parteien wie den derzeitigen Regierungsparteien, die dem Staat ablehnend und abwertend gegenüberstehen, mit denen ist kein Staat zu machen, mit denen ist so ein Projekt nicht zu verwirklichen, die verursachen logischerweise, dass eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit heraus- kommt, wie wir es ja ausreichend vor Augen geführt bekommen haben. Rasche Umkehr ist nötig. Diese Umkehr wird aber an sich in Frage gestellt, wenn man in Erwägung zieht, mit diesen Gesinnungstätern nach der Wahl zu koalieren. Daher halte ich den Standpunkt der Grünen, dass eine Regierungskoalition mit der ÖVP nicht in Frage kommen darf, für richtig und konsequent ) Der Streit, Salmutter oder Gaugg, war nicht nur der Streit um einen gutbezahlten Posten, er hatte vor allem auch eine ideologische Komponente. Das jetzt zu vergessen, wäre ein verhängnisvoller Fehler.

Freundliche Grüße
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: Josef Zwickl
To: Günter Wittek
Sent: Monday, September 16, 2002 2:19 PM
Subject: Re: Re: re: UÜ

Lieber Kollege Wittek
Da haben Sie aber wieder einmal sehr dick aufgetragen.
Sie können doch nicht allen Ernstes die Meinung haben, dass der Staat in allen Bereichen der beste Unternehmer ist. Genau das haben Sie aber mit Ihrem mail zum Ausdruck gebracht. Denn, niemand, nicht einmal der verbohrteste Imperialist will den Staat aus allen Bereichen zurücknehmen. Wenn Sie dies aber einer ganzen Gruppe unterstellen, muss ich annehmen, was ich in meinem ersten Satz andeutete. Ich glaube, ich habe Ihnen x Beispiele aus der ehemaligen defizitären Verstaatlichten genannt, wo der Staat als Unternehmer auf allen Linien gescheitert ist. Das haben Sie entweder nicht gelesen oder wieder verdrängt. Vergessen wir nicht, dass wir die damals u.a. aus diesem Titel entstandenen Schulden heute mühsam zurückbezahlen. Sehen Sie über den ehemaligen Eisernen Vorhang und beurteilen Sie selbst wie toll dort die Verstaatlichten Betriebe agiert haben. Ich glaube, das Schädlichste für die Lösung von Wirtschaftsfragen ist und bleibt die Ideologie (jede) und falsch verstandener Klassenkampf. "Der Unternehmer ist grundsätzlich nur böse und der Arbeitgeber nur gut und ausgebeutet". Im 19. Jahrhundert hätte ich solche Aussagen ja noch gelten lassen. Heute ist der Arbeitnehmer genau so mündig wie der Arbeitgeber. Arbeiter und Angestellte sind gleich berechtigt und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine Abfertigung. Und das hat noch dazu eine "reaktionäre" Regierung nach 30 Jahren Sozialismus in Österreich bewirkt. Alles verdrängt? Schöne Grüße Josef Zwickl

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