1. DER STANDARD
Dienstag, 1. Oktober 2002, Seite 6

Absolventenrekord vor Gebühreneinführung

Mehr Frauen als Männer schließen ein Studium an wissenschaftlichen Universitäten ab
Wien - Erstmals haben die Frauen bei den Studienabschlüssen ihre männlichen Kollegen überrundet. Wie die letzte Statistik des Bildungsministeriums (Studienjahr 2000/01) zeigt, lag die Frauenquote bei den Abschlüssen an allen zwölf wissenschaftlichen Universitäten bei 50,1 Prozent. Anfang der Neunzigerjahre war der Frauenanteil unter den Absolventen noch bei 41,6 Prozent. Auch die gesamte Absolventenzahl war noch nie so hoch: 16.700 Studienabschlüsse (Erst- und Zweitabschlüsse) wurden verzeichnet, um acht Prozent mehr als im Jahr davor (1999/2000: 15.482). 2000/01 war das letzte Jahr, in dem man noch ohne Gebühren studieren konnte. Die neuen Beiträge motivierten offensichtlich viele, vor dem "Zahltag" noch rasch abzuschließen. Auch im Bildungsministerium betont man, dass die Gebühren "zu mehr Ernsthaftigkeit des Studiums" geführt hätten. Unter den wissenschaftlichen Universitäten erreichte die Technische Universität Graz mit einem Plus von 19 Prozent den größten Absolventenzuwachs, gefolgt von der Uni Innsbruck (14 Prozent plus) und den Universitäten Wien sowie Salzburg. Weniger Abschlüsse gab es an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (minus neun Prozent), der Wirtschaftsuni Wien (minus fünf Prozent) sowie den Unis Klagenfurt (minus zwei Prozent) und Linz (minus ein Prozent). Bei den Kunstunis verzeichnete vor allem die Akademie der bildenden Künste Wien ein kräftiges Plus von 23 Prozent. Wahlkampfthema Uni
In der Zwischenzeit sind die Universitäten in den Wahlkampf gezogen worden. So forderten sozialdemokratische Gewerkschafter am Montag, dass die Universitätsreform "zurück an den Start" gehen und bis nach den Wahlen aufgeschoben werden sollte. GPA-Chef Hans Sallmutter rief zum Boykott der Gründungskonvente auf. Diese sind im (bereits beschlossenen) Universitätsgesetz festgeschrieben, um die jeweiligen Unis in die Autonomie zu begleiten. (red, APA)



2. Absolventen aus Not (= Leserbrief STANDARD 1. Oktober, Seite 39)

Betrifft: Interview mit Uni-Rektor Winckler
STANDARD, 30. 9. 2002
Rektor Winckler ergeht sich neuerlich in Lobeshymnen über die demokratiefeindliche Universitätsreform. Das Geschenk von Ministerin Gehrer, ein junges Apfelbäumchen als Symbol für die Erneuerung der Universitäten, zeitigt offensichtlich Wirkung. Der anfänglich kritische Rektor hat sich zu einem kniefälligen, glühenden Befürworter der Reform gewandelt. Das Geschwafel über höhere AbsolventInnenzahlen als zu begrüßende Konsequenz der Studiengebühren ist mit Sicherheit eine
Chuzpe:

Die Zahlen stiegen deswegen um zehn Prozent an, weil viele, die sich ohnehin in der finalen Phase ihres Studiums befanden, ihre Diplomarbeiten rascher fertig stellen mussten, um nicht Studiengebühren berappen zu müssen. Hier wird eindeutig mit Zahlen hantiert, die in die Denkschemata des Reformverfechters passen. Faktum ist, dass wir seit Einführung der Studiengebühren einen durchschnittlichen Rückgang an Erstsemestrigenzahlen von 16 Prozent zu beklagen haben.

Seit der Öffnung des Bildungssektors für alle in den 70er-Jahren haben sich die Hochschulen von männerdominierten, hierarchischen Eliteschmieden zu halbwegs demokratisch organisierten, qualitativ hochwertigen Massenuniversitäten entwickelt. Insbesondere Frauen konnten davon profitieren, obwohl die gläserne Decke nach wie vor existiert. Mittels Studiengebühren werden hohe Mauern um die Universitäten errichtet, nur mehr zahlungskräftigen KundInnen wird Einlass gewährt. Der Rest rennt gegen die Festung "Gesellschaft mit bechränktem Zugang, Ges.m.b.Z." an.
Michaela Fabian,
ÖH-Pressesprecherin
1160 Wien


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