In der Diskussion um das "legale Schummeln", die wir, so meine ich, genauso dringend brauchen wie einen Kropf, werden zwei Fertigkeiten, die SchülerInnen während ihrer Schulzeit erwerben sollen, völlig unkritisch miteinander verwechselt.

Die eine Fertigkeit ist das eigenständige Verfassen eines Textes. Es stimmt: Auch "draußen im wirklichen Leben" ist es nur in seltenen Ausnahmefällen -- unter Zeitdruck -- erforderlich, einen selbst verfassten Text ohne die Möglichkeit einer kritischen Überarbeitung desselben zu einem späteren Zeitpunkt aus der Hand zu geben. Mehrmaliges Revidieren, Editieren (nach dem Motto "Writing is rewriting") ist die Norm für alle professionellen
SchreiberInnen; das Gegenteil gilt als höchst unprofessionell.

Die andere Fertigkeit, die mit der oben genannten überhaupt nichts zu tun hat, ist das Bestehen in Prüfungssituationen. Jede Prüfungssituation -- ob schriftlich oder mündlich -- ist eindeutig definiert durch (a) einen begrenzten zeitlichen Rahmen, (b) die begrenzte Verfügbarkeit externer Ressourcen (Nachschlagewerke etc.) und, daraus folgend (c) einen erhöhten Stresspegel, der seinerseits eine potentielle Fehlerquelle darstellt.

Nun sollten wir uns endlich darüber klar werden, dass die Beherrschung BEIDER Fertigkeiten wichtig ist. Unseren SchülerInnen in Kuschelpädagogikmanier vorzugaukeln, dass die letztgenannte Fertigkeit von geringerer Bedeutung sei und dass schlechte Ergebnisse in Prüfungssituationen (etwa bei Schularbeiten) durch ein Nachbessern abgeschwächt oder gar aus der Welt geschafft werden können. Man denke nur an die "Realität": an diverse Berufsprüfungen oder auch nur an den praktischen Teil der Führerscheinprüfung, wo gerade das blitzschnelle Reagieren auf unvorhersehbare Situationen abgeprüft wird. Denken wir aber auch an die Teilnahme an einer Diskussionsrunde, in der eine logisch stringente und wohl formulierte ad hoc-Stellungnahme zur Aussage eines anderen Diskutanten erwartet wird.

Solange SchülerInnen -- trotz voraus gehender intensiver Thematisierung dieser Problematik -- ihre hingeschmierten, nie auch nur einmal durchgelesenen Zeilen als ihre Essays bezeichnen und mir (und wahrscheinlich auch Ihnen) zur Korrektur vorlegen, zeigen sie, dass sie nicht einmal dort, wo sie die Möglichkeit dazu hätten, bereit (in der Lage?) sind, die ihnen zur Verfügung stehenden Zeit- und Materialressourcen auszuschöpfen. Warum sollten sie es dann gerade in einer Prüfungssituation tun wollen/können? (Weil den verdammten Schularbeiten trotz aller gegenteiliger Beteuerungen doch noch immer ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als allen anderen Formen der Leistungsfeststellung?)

Es geht darum, den Stressfaktor bei der Benotung einer Schularbeit einzukalkulieren und nicht um eine Milderung oder gar Ausschaltung desselben.

K Forstner





----- Original Message -----
From: "Erich Wallner"
To: "Lehrerforum"
Sent: Tuesday, October 01, 2002 6:55 AM
Subject: LF: "Legales Schummeln" - Urheberstreit


> DER STANDARD
> Dienstag, 1. Oktober 2002, Seite 10
>
> "Legales Schummeln", eine VP-Initiative
>
> Stadtschulratspräsidentin reagiert auf Kritik von Bildungsministerin
> Gehrer
>
> Wien - "Wenn die Frau Bundesminister meint, sich strikt gegen jegliche
> Art von ,Schummeln in der Schule' aussprechen zu müssen, dann zeigt
> mir das nur, dass sie unsere Forderung nicht wirklich verstanden hat".
> Heftig fiel am Montag die Reaktion von Stadtschulratspräsidentin
> Susanne Brandsteidl auf die Kritik von VP-Bildungsministerin Elisabeth
> Gehrer aus. Diese hatte am Sonntag von einem "ganz, ganz falschen
> Signal" gesprochen. Der "legale Schummelzettel" sei nichts anderes als
> ein "individueller Lernbehelf". Fünf mal Fünf Zentimeter groß,
> einseitig beschrieben und auf der Rückseite vom Lehrer per
> Unterschrift genehmigt, präzisierte Brandsteidl. Wenn Gehrer nun eine
> Klarstellung des Stadtschulrates verlange, zeige dies, dass sie die
> Broschüre nicht gelesen habe. Gehrers Parteikollege Walter Strobl,
> Bildungssprecher der Wiener VP, reklamierte am Montag in einer
> Aussendung die Vorschläge für sich, denn: "Beide Ideen stammen als
> Diskussionsvorschläge aus Arbeitskreisen der Vereinigung Christlicher
> Lehrer Wiens." Die Anregungen seien in Unterlagen des Pädagogischen
> Instituts der Stadt Wien eingeflossen und sollten als
> Diskussionsgrundlage dienen. Einige Ideen seine durchaus zu beachten,
> so Strobl, "aber sicher nicht die Überlegung, einen Schummelzettel
> verwenden zu dürfen." Strobls Lehrerkollegen waren da jedoch viel
> couragierter: "Schüler dürfen beim Test einen ,Schummelzettel'
> benützen, der nach festen Regeln verfasst ist", so steht es auf der
> Homepage des VCL nachzulesen. Schon möglich, erklärte
> Stadtschulratssprecher Matias Meissner auf Anfrage des STANDARD, dass
> einige Ideen in die pädagogische Diskussion eingeflossen seien. Es sei
> aber auszuschließen, dass Inhalte unkritisch und ohne vorherige
> Diskussion in die Broschüre des Wiener Stadtschulrates aufgenommen
> worden seien. (fern, APA)
>
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> Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at)
> betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein
e-mail
> an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im
> Nachrichtentext.

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