Mogeln, Leistung und Kompetenz: Die Schule im Wahlkampfstreit
Elisabeth Gehrer kontra Susanne Brandsteidl oder das Bildungsministerium gegen die Wiener Schulbehörde: Der Bildungsstreit vor der Nationalratswahl.
VON ERICH WITZMANN UND ALEXANDRA DEMCISIN
WIEN. Das als Schummelzettel bezeichnete Hilfspapier sei an ihrer Schule schon lange eingeführt. "Fünf mal fünf Zentimeter groß, da kann der Schüler draufschreiben, was er will." Der Lehrer signiert dieses Papier, damit während der Schularbeit nicht noch ein zweites oder drittes hervorgezogen wird.
Christel Koenne, Direktorin an der AHS Geringergasse in Wien-Simmering, erzählt die seit Jahren gängige Praxis an ihrer Schule: der "5x5-Zettel" und die "Mehrphasenschularbeit". In dem als "Schummelzettel" verteufelten Papier sieht die Pädagogin einen Vorteil für den Schüler. Zuerst arbeitet dieser den Stoff durch. Dann notiert er jene Bereiche, in denen er unsicher ist. Schließlich trifft er eine weitere Auswahl, um die Stichwörter auf dem Zettel unterzubringen. Dabei wiederhole er den Stoff mehrmals, "sodaß er bei der Schularbeit die Unterlage oft nicht mehr braucht".
Christel Koenne war Mitglied der Arbeitsgruppe, die das publik gewordene 55-Seiten-Konzept "Neue Wege der schriftlichen Leistungsfeststellung in den AHS Wiens" erarbeitet hat. Und sie ist überrascht angesichts der scharfen Replik von Ministerin Elisabeth Gehrer (VP) am Wochenende. Koennes
Feststellung: Das seien Vorschläge, die maßgeblich von Pädagogen, die der ÖVP zugerechnet werden, ausgearbeitet wurden. "Das ist ein lupenreines VP-Produkt."
Warum dann Gehrer (und am Montag VP-Bildungssprecher Werner Amon) die Vorschläge kritisiert und eine Klarstellung Brandsteidls gefordert hat? Von den Autoren der Prüfungs-Studie wird dies als "politischer Reflex" bezeichnet. Im Bildungsministerium sieht man die Causa konkreter: "Die Ministerin wollte sich als leistungsorientierte Politikerin klar kontrastieren", sagt Sektionschef Heinz Gruber. Denn mit erleichterten Prüfungen fange es an, aber mit der Abschaffung der Noten, Schularbeiten und der Reifeprüfung höre es auf. Gruber: "Und warum präsentiert das die Stadtschulratspräsidentin gerade in der Vorwahlzeit?"
Über die derzeitige Diskussion ist auch die Leiterin der eingesetzten Arbeitsgruppe, Landesschulinspektorin Henrike Kschwendt (der VP zugerechnet), nicht glücklich. "Ich bin ein bißchen betroffen, wie das präsentiert wurde, und wie das hinausgegangen ist." Und übrigens: Die Studie liegt schon seit einem halben Jahr auf. Im Frühjahr wurde sie bei einer österreichweiten Konferenz der Schulinspektoren vorgestellt, und auch zwei hochrangige Beamte im Bildungsministerium erhielten je ein Exemplar - Reaktion gab es allerdings keine.
Neben dem tolerierten "Schummelzettel" erregt auch die Rückgabe der Schularbeiten in der nächsten Fachstunde die Gemüter. Die dann eingeräumten zehn bis 20 Minuten für die Korrektur seien schon derzeit üblich, sagt Direktorin Koenne. Das ist übrigens auch in anderen Bundesländern, etwa in Niederösterreich, und auch in Pflichtschulen durchaus üblich. Die Argumentation der Pädagogen - daß nämlich die zweite Durchsicht einer lebensnahen Praxis entspricht - hat sich auch Brandsteidl zu eigen gemacht: "Wenn man im Berufsleben Texte schreibt, kann man nachfragen oder irgendwo nachsehen." Bei Arbeiten in der Schule sei es daher eine "wesensfremde Art, Texte zu produzieren".
Aus Fehlern lernen
Auch am Wiener Schulschiff wird die Rückgabe der unkorrigierten Schularbeit seit einigen Jahren praktiziert. "Dies hat sich bewährt", sagt Administratorin und Englisch-Lehrerin Eva Reschke. "Die Kinder sprechen in der Pause über das, was sie geschrieben haben." So ergebe sich die Möglichkeit, aus den Fehlern zu lernen.
Sektionschef Gruber glaubt übrigens, daß die beiden Neuerungen gegen Paragraph 7 der Prüfungsverordnung, in der die Schularbeitszeit mit einer Stunde bemessen ist, verstoßen. Dem widerspricht Kschwendt. In den neuen Lehrplänen der Unterstufe sei bereits eine "zeitliche Flexibilität" der Schularbeitsdauer fixiert worden.
Direktorin Koenne ist generell über den Stand der Auseinandersetzung betroffen. In der 55-Seiten-Studie würde die "Kompetenz" der Schüler im Vordergrund stehen. "Das Ziel ist für den Schüler: Was lerne ich durch das Prüfen? Wie geht es mir in Streßsituationen? Wie schaut es mit meiner Selbsteinschätzung aus?" Die Prüfung habe ihren Wert, sie sei auch nicht abzuschaffen. Aber um diese Kompetenzen gehe es jetzt im aktuellen Streit nicht mehr.
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