SZ 02 10 02
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hp
Die Lehren der Pisa-Studie
Rot-Grün will Bildungspolitik zum zentralen Thema machen / Vorrangige Ziele sind Ganztagsschulen und nationale Standards
Von Robert Jacobi und Jeanne Rubner
Bildungspolitiker klagen gerne darüber, dass ihre Anliegen als nebensächlich belächelt werden. Auch Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) war mit ihrer Arbeit lange Zeit in der Öffentlichkeit kaum präsent. Dann kam die Pisa-Studie mit ihren schlechten Ergebnissen für Deutschland – und plötzlich waren die Schwächen des deutschen Schulsystems Wahlkampfthema. Schon zehn Tage nach der Wahl macht die Bundesregierung nun deutlich, dass Bildung eines der zentralen Themen ihrer zweiten Amtszeit sein wird: Als erstes Sachthema steht die Bildungspolitik an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung der Koalitionsgespräche zwischen SPD und Grünen. Ministerin Bulmahn wird ins Willy-Brandt-Haus kommen, um die Pläne ihres Hauses selbst vorzustellen.
Erstes Thema dürfte die Bildung aber auch deshalb sein, weil man darin weniger Zündstoff sieht als etwa bei Finanz- oder Umweltpolitik. „Das wird recht schnell gehen, weil es zwischen den beiden Parteien kaum Konfliktlinien gibt“, heißt es im Bildungsministerium. Bulmahn wird sich auf die beiden aus ihrer Sicht dringlichsten Projekte konzentrieren: Einerseits sollen, wie vor der Bundestagswahl angekündigt, in allen Bundesländern möglichst schnell Ganztagsschulen etabliert werden. Andererseits soll im Koalitionsvertrag das Ziel festgeschrieben werden, nationale Bildungsstandards zu schaffen. Dabei wird es weniger um detaillierte Lehrpläne gehen, sondern um Methoden, die Lernkompetenz und die Aufnahmefähigkeit der Schüler zu verbessern.
Die Regierung will sich daran messen lassen, ob sie ihr Ziel erreicht, Deutschland innerhalb von zehn Jahren wieder auf einen Spitzenplatz in internationalen Vergleichen zu bringen. Nachholbedarf sieht man vor allem bei der Chancengleichheit: Es gilt in Koalitionskreisen als bitterste Erkenntnis der Pisa-Studie, dass die Ausgangslage für Kinder aus ärmeren Familien in Deutschland schlechter ist als in den meisten anderen Industriestaaten.
Um zu verhindern, dass die Bildungspolitik weiter Schauplatz für politische Kämpfe ist, will die Bundesregierung nach Angaben des Bildungsministeriums den Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern entschärfen. Es werde keine Initiativen geben, die Bildung der Hoheit des Bundes zu unterstellen, heißt es dort. Vor allem der von Bundeskanzler Gerhard Schröder forcierte Plan, den Ländern mit einem – analog zum Hochschulrahmengesetz – bundesweit einheitlichen Paragrafenwerk Druck zu machen, scheint vom Tisch zu sein. Das gebietet zum einen schon der politische Realismus: Für eine solche Verfassungsänderung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Und die ist ohne die Union, die ein solches Vorhaben ablehnt, nicht zu erreichen. Zum anderen sehen sich die Grünen als traditionelle Verfechter der Autonomie der Länder. „Wir wollen Kerncurricula und einheitliche Standards, aber keinen Zentralismus“, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Reinhard Loske zur SZ. Zum Beispiel solle eine „möglichst unabhängige Agentur“ überprüfen, ob Standards auch eingehalten werden.
Zwar besteht ein Konsens darüber, dass mehr Geld in Bildung investiert werden muss. Dennoch ist klar, dass wegen der dramatischen Haushaltslage momentan nur Reformen durchsetzbar sind, die nicht viel Geld kosten. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr bereits enthalten sind allerdings 300 Millionen Euro für die Bundesländer, die damit Ganztagsschulen aufbauen sollen. Im Frühjahr hatte die Bundesregierung noch, zeitlich gestreckt, insgesamt vier Milliarden Euro angeboten. Das Geld kommt aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen und soll für 10000 Ganztagsschulen reichen. Ob der Bund bei seiner Zusage bleibt, gilt aber als unsicher. Ohnehin müssten die Länder kräftig zuschießen: Der Bund darf nur Investitionen finanzieren, nicht aber Personalkosten. Ebenso fraglich ist, wie eine rot-grüne Regierung eines ihrer zentralen Bildungsziele – die frühkindliche Förderung – finanzieren will, wenn das Geld noch nicht einmal für den Ausbau von Ganztagsschulen reicht.
Mehr Geld erhalten immerhin mittlerweile die Studenten nach einer Aufstockung der finanziellen Hilfen (Bafög). Damit wollen sich die Grünen nicht zufrieden geben. Sie setzen weiterhin auf elternunabhängige Förderung – ein Modell, das Kanzler Schröder höchstpersönlich gekippt hat.
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