Standard 02 10 02

Der Spickzettel in der Schule soll erlaubt werden. Das fördere die Selbstständigkeit, sagen die Befürworter - so werde keine Leistung mehr erbracht, widersprechen die Kritiker. Ein neuer Disput über eine alte Praxis.

Echt schwindeln, ohne zu mogeln

"Ich bin strikt gegen Schummeln." Christa Koenne ist Direktorin am Gymnasium Geringergasse in Wien-Simmering und eine der Autoren der heftig diskutierten Broschüre des Wiener Stadtschulrates "Neue Wege der schriftlichen Leistungsfeststellung". "Deshalb steht der Begriff Schummelzettel ja auch unter Anführungszeichen." Richtig sei "individueller Lernbehelf". Es gelte die Schüler zu selbstständigem Arbeiten anzuregen.

Koenne arbeitet in ihrem Unterrichtsfach Chemie seit einigen Jahren mit genormten "Schummelzetteln". Fünf mal fünf Zentimeter groß, einseitig beschriftet und von ihr unterschrieben. "Den Inhalt korrigiere ich allerdings nicht", schildert die Lehrerin, "wenn was Falsches draufsteht, sind die Schüler dafür verantwortlich." Ob denn bei den Chemietests weiterhin auch konventionell gemogelt wird? "Nein", lacht Koenne, "da pass ich auf wie ein Haftelmacher".

"Das Herstellen von Schummelzetteln ist die beste Vorbereitung für eine Prüfung", sagt Manfred Driza, Direktor des Gymnasiums Erlgasse in Wien-Meidling, "deren Verwendung nicht", fügt er aber lachend hinzu. Seine
Erklärung: "Wer Informationen kompakt zusammenfassen kann, kennt sich aus."

Noten nicht besser

Die "Zwei-Phasen-Schularbeit" hat Driza an seiner Schule bereits ausprobiert. Bei dieser Art der Leistungsbeurteilung überarbeiten die Schüler ihre Schularbeiten zwei Tage später für zehn bis 15 Minuten. Erst danach werden die Arbeiten korrigiert. "Zwei Kolleginnen haben das in den letzten beiden Jahren gemacht, und die Schüler schätzten das", berichtet er. Eine merkliche Verbesserung der Noten sei nicht zu erkennen gewesen, denn "wenn ich einen schlechten Aufsatz geschrieben habe, sind zehn Minuten nicht genug Zeit, um ihn zu verbessern".

Unterschiedlich sind die Reaktionen aus den Bundesländern. Für Oberösterreichs Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer (VP) hat seine Wiener Kollegin "die Begriffe verwirrt." Denn Schummeln sei das Verwenden unerlaubter Hilfsmittel, standardisierte Lernbehelfe wie Formelhefte und Lexika werden schon lange eingesetzt. Enzenhofer ist nicht grundsätzlich gegen Selbstgemachtes: "Wenn jemandem das Hintergrundwissen fehlt, wird ihm auch ein Zettel nicht weiterhelfen."

Viel Positives an dem Vorschlag findet der Vizepräsident des Kärntner Landesschulrates, Rudolf Altersberger (SP). "Schummeln ist da der falsche Begriff. Schummeln heißt einfach abschreiben. Es geht aber um eine Neubewertung des Leistungsbegriffs." Für den steirischen Landesschulratspräsidenten Horst Lattinger (VP) ist die Diskussion "unverantwortlich und unseriös". Leistungen müssten erbracht werden. Sinnvolle Maßnahmen zu ihrer Messung solle man diskutieren. Tirols Landesschulratspräsident Sebastian Mitterer (VP): "Die Eigenständigkeit der Leistung ist nicht mehr kontrollierbar." Er akzeptiert aber, dass eine stichwortartige Zusammenfassung ein wesentlicher Schritt bei der Aneignung von Wissen sein kann.

Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer lehnt jedes "Schummeln" strikt ab.





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