DER STANDARD
Freitag, 4. Oktober 2002, Seite 36
Teure Zeitvernichtungsmaschine
Schulpolitik im Wahlkampf: Die wirklichen Probleme bleiben unausgesprochen
Martina Salomon
Wenn Schularbeiten- und Wahlkampfzeit zusammenfallen, dann wird die bildungspolitische Leere besonders deutlich. Bisher hat sich lediglich die SPÖ mit Reformvorschlägen auf das schwierige Terrain "Schulpolitik" gewagt. Aber die wahren Probleme berührt sie kaum. Hart gesagt, ist Schule nämlich in weiten Teilen eine sauteure Zeitvernichtungsmaschine - speziell in höheren Klassen. Schließlich müssen sich sogar Oberstufenschüler dem unkommunikativen Berieselungsprinzip unterziehen. Hier präsentiert die SPÖ Ideen: für ein flexibles "Modulsystem" in der Oberstufe, das die Trennung zwischen AHS und BHS aufheben soll. Wie dies aber funktionieren soll, bleibt völlig rätselhaft. Nach neun Wochen Sommerferien läuft der Schulbetrieb stockend an, um im Juni vorzeitig auszulaufen. Dazwischen muss hektisch Stoff in Schülerhirne gepresst werden. Weil die Ferien dreimal so lang sind wie jene der Eltern, hat sich ein blühender Markt privater Lerncamps
entwickelt: Dort erarbeitet man in 14 Tagen dann mühelos den Jahresstoff, natürlich in kleineren Gruppen. Denn ein weiteres Problem des Schulwesens ist die Klassengröße: Mit bis zu 30 Schülern ist Lernen schwierig, speziell, wenn es darunter "verhaltensoriginelle" Jugendliche gibt. Für Problemschüler und -lehrer hat das Schulwesen überhaupt keine Antwort: Sie werden - Schüler sehr schnell, Lehrer außerordentlich langsam - lediglich an die nächste Schule verschoben. Ein schlechter Pädagoge kann ganze Klassen paralysieren. Aber bevor er nicht minderjährige Kinder missbraucht, darf er bis zum St. Nimmerleinstag unterrichten. Was in Summe dem gesamten Berufsstand auf den Kopf fällt - leider auch den vielen überdurchschnittlich Engagierten. Wahrscheinlich ist es notwendig, Ausstiegsmodelle für Pädagogen zu erarbeiten, um dieses Problem endlich in den Griff zu bekommen. Schulen müssten sich überdies ihr Lehrpersonal selbst aussuchen dürfen, sonst sind die Schönreden der Bildungsministerin von Autonomie nur Schall und Rauch. Lehrpersonal mit Praxis außerhalb der Schule sollte übrigens bevorzugt werden. Und die Schüler? Sie sind notgedrungen auf jene Fächer konzentriert, in denen sie besonders unbegabt sind. Im heimischen Schulwesen starrt man ja vorwiegend auf negative Noten. Speziell an den AHS herrscht überdies unerklärlicher Fächeregoismus vor. Die dort zum Teil völlig abstrusen und antiquierten Lehrpläne werden von Lehrern für Lehrer zur Sicherung der Lehrerbeschäftigung gemacht. Besonders schlimm ist es in der Mathematik, wo man als (mitleidender und mitlernender) Elternteil sogar schon in der Unterstufe an Fragestellungen scheitert, weil in den Lehrbüchern Einfaches möglichst kompliziert ausgedrückt wird. Hat noch nie jemand überlegt, dass die latente Technikfeindlichkeit der Österreicher sowie der Studentenmangel in naturwissenschaftlichen Fächern am schlechten Schulunterricht liegen könnte? Apropos Eltern: Die Pisa-Studie hat ergeben, dass in Österreich und Deutschland besonders wenig Chancengleichheit herrscht: Kinder gebildeter Eltern sind eklatant bevorzugt. Denn ganztägige Schulformen sind die Ausnahme. Und während die Lehrerschaft beklagt, dass Familien ihrem Erziehungsauftrag zu wenig nachkommen (was zweifellos stimmt), verhindert sie gleichzeitig, dass sich Eltern am Wochenende ausreichend um ihre Kinder kümmern können, weil noch immer an etlichen Schulen auf der Sechstagewoche beharrt wird. Vor diesem Hintergrund ist Alfred Gusenbauers Bildungskonzept ehrenwert, aber abgehoben. So kommt die Klassenschülerzahl - immerhin ein Punkt im seinerzeitigen Bildungs-Volksbegehren! - darin nicht vor. Es bleibt zu befürchten, dass auch eine SP-Bildungsministerin Susanne Brandsteidl das Schulwesen nicht ernsthaft reformieren wird. Sie ist bisher nur mit einem populistischen "Schummel"-Vorschlag aufgefallen.
© DER STANDARD, 4. Oktober 2002
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