"Salzburger Nachrichten" vom 10.10.2002 Seite: 4
Ressort: ÖSTERREICH

Österreich, Salzburg

Eklatante Leseschwächen

Eltern schlagen Alarm: Jeder Fünfte eines Jahrgangs gehört einer Risikogruppe an, die nur wenige komplexe Leseaufgaben lösen oder gar nicht mehr lesen kann.

GRAZ (SN-m.b.). "Österreichweit treten jährlich zwischen 15.000 und 18.000 Jugendliche als Quasi-Analphabeten in die Lebens- und Berufswelt ein", kritisiert Ilse Schmid vom steirischen Landesverband der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen (LV-EV). Grundlage für diese Zahlen ist "PISA 2000", ein Leistungsvergleich der Bildungssysteme in über 30 Staaten.

Die Folgen der teilweise eklatanten Leseschwächen bei Österreichs Schülern seien Besorgnis erregend, zumal zwischen der Lesegeschwindigkeit und den Kompetenzen in Mathematik und in Naturwissenschaften ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, sagt Schmid. "Wer langsamer liest, benützt auch viel seltener den Computer", erklärt LV-EV-Sprecher Gerhard Fruhmann. Die Lesefertigkeit der Kinder stehe in einem direkten Verhältnis zu Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern. Will heißen: je geringer der Bildungsstand im Elternhaus, umso schlechter die Leseleistungen der Kinder.

Die Eltern fordern nun Gegenmaßnahmen bereits in der Volksschule.
Fruhmann: "Es darf nicht sein, dass Kinder, die kaum lesen können, in die
Haupt- oder Mittelschule kommen." Gezielte Fortbildungsprogramme sollen sicherstellen, dass das Lehrpersonal die Leseschwächen erkennen und beheben kann. Diverse Tests wiederum sollen Aufschlüsse darüber bringen, ob das Leseverständnis der Kinder ausgeprägt ist: "Es gibt immer mehr Kinder, die zwar die Worte lesen können, die Inhalte aber nicht verstehen, also die Informationen im Text nicht mit Allgemeinwissen verknüpfen können."

Laut einer Studie der Salzburgerin Karin Landerl unter 2600 Volksschülern der 3. Klasse weisen 19 Prozent der Schulkinder eine sehr schlechte Leseleistung auf. 87 Prozent davon hatten elementare Lese-Defizite, knapp zwei Drittel wiederum deutliche Probleme beim Vorlesen eines kurzen, einfachen Textes. "Kaum ein Betroffener kann in der weiteren Pflichtschulzeit die Leseleistung verbessern", sagt Schmid. 6000 Jugendliche pro Jahr gelten am Arbeitsmarkt wegen fehlender Grundkompetenzen in den Kulturtechniken als schwer
vermittelbar: "Für diese Personen müssen 35 Mill. Euro ausgegeben werden."

Die Salzburger Ergebnisse deckten sich, so Schmid, mit der "PI-SA"- Untersuchung. Demnach befinden sich 14 Prozent der heimischen Jugendlichen eines Jahrgangs auf Level 1 oder darunter, gemeinsam mit den Schulaussteigern steigt die "Risikogruppe" auf rund 20 Prozent an. "Level 1 und darunter reichen nicht aus für den selbstständigen Bildungserwerb."

Der "neue Analphabetismus" sei ein Tabuthema: "Was nun über Studien bekannt wird, bemerken viele Lehrer seit Jahren. Da die Behebung der Mängel teuer ist, hat die Politik bislang nicht reagiert."



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