Für mich ist das "österreichische Vokabelheft", soweit es in der SZ vorgestellt wurde, keine politische Abhandlung, sondern eine schlichte Unterhaltungsliteratur.
Hand aufs Herz, amüsieren wir uns nicht auch köstlich, wenn der "Bulle von Tölz" urbayrische Zustände darstellt, die so gut erfunden sind, dass sie von der Wirklichkeit mit freiem Auge kaum noch unterscheidbar sind. Auch dort ist es zulässig, dass Politiker und ihre "feinen" Machenschaften hergezeigt werden.
Warum sollen wir Österreicher empfindlicher sein, wenn im Ausland über uns geschrieben wird? Was soll daran anrüchig sein? Immer natürlich grundsätzlich gesehen. Denn mich stört auch an RM, dass er alle Österreicher in einen Topf wirft, die Anhänger der schwarzblaunen Regierung mit den Menschen im Widerstand gegen diese Regierung vermischt oder beinahe gleichsetzt. Wenn das seine wirkliche Meinung sein sollte, dann ergibt sich daraus ja schon von selbst, dass RM von seiner Einstellung her das Zeug zum Einsteigen in die östereichische Politik fehlt, dass er aufgrund seiner eingenommen Position jedenfalls noch lange in der Beobachterposition bleiben will, und nicht die Qualitäten eines Josef Broukal mitbringt.
Es ist schlicht falsch beobachtet, dass die Österreicher die Karawane der Grauslichkleiten, die die Schüssel-Regierung uns gebracht hat, gewollt haben (auch wenn es dagegen keinen Volksaufstand gab, nur vereinzelt Verweigerung / Boykott). Aber RM hat schon recht, dass wir diese Regierung von Anfang an nicht wollten. Es war ein böser Taschenspieler-Trick, der 1999 aufgegangen ist. Die FPÖ hat plakatiert "Wahltag ist Zahltag", und hat sich mit diesem Spruch sehr viel Zustimmung bei den (zurecht) Unzufriedenen geholt und leider auch so manche Stimme. Die Unzufriedenen wollten doch, nehme ich an, dass die FP den auch für meinen Geschmack viel zu arrogant gewordenen Politikern von rot und schwarz etwas kräftiger auf die Finger klopft. Das war aber deswegen ein Taschenspieler-Trick, weil diese Stimmen der Unzufriedenen letztendlich dazu gedient haben, diese Schüssel-Regierung mit diesem Koalitionspartner zu ermöglichen - wider allen politischen Verstand. Und RM hat recht, wenn er darauf hinweist, dass die Proponenten dieser falschen Regierung noch immer nichts gelernt haben, dass sie ihren Irrtum bereit wären fortzusetzen, wenn es die Wählerinnen und Wähler ermöglichen.
Doch gerade hier hat RM - im Ausland sitzend und nicht alles wahr-nehmend - einiges übersehen. Die Meinungsumfragen der vorigen Woche, die hinausposaunt wurden, waren alle von der ÖVP in Auftrag gegeben (die SPÖ macht sich aus Ersparnisgründen ihre Umfragen selber), und die Institute möchten auch noch in den kommenden Wochen ein paar lukrative Aufträge, die dann gefährdet wären, wenn das Ergebnis nicht nach dem Geschmack ausfällt. Inzwischen zeigen schon Online-Umfragen mancher Zeitungen ein auffallend anderes Bild als das der Institute.
Zusammenfassend: Wenn man über Österreich schreiben möchte (und viele mögen das tun!), dann soll man aber die Mentalität der Österreicher nicht als unveränderliche Konstante annehmen, sondern besser so feinfühlig sein, um Veränderungen in der Stimmungslage auch miteinbeziehen zu können.
Günter Wittek
----- Ursprüngliche Nachricht -----
From: Heinrich Kreissl
To: Lehrerforum
Sent: Sunday, October 20, 2002 12:46 AM
Subject: LF: WG: Betrifft: R. Menasse, Von den Nachbarn lernen:
Österreichisches Vokabelheft (Artikel vom 18.10. 2001)
Man sollte immer mit zwei Augen schauen um die Perspektiven zu erkennen. Diese Reaktion rückt vielleicht den früher zitierten Artikel von R. Menasse in der Süddeutschen Zeitung ins rechte Licht! Mit kollegialen Grüßen
Heinrich Kreissl
----- Ursprüngliche Nachricht -----
From: Michael Konzett
To: listserv ML Lehrerforum
Sent: Friday, October 18, 2002 7:38 PM
Subject: LF: Österreichisches Vokabelheft
Österreichisches Vokabelheft
Man stelle sich das Gegenteil dessen vor, was man für logisch hält, und setze es als Normalität voraus - Zum besseren Verständnis der Alpenrepublik vor der Wahl Von Robert Menasse
http://www.sueddeutsche.de/index.php?url=/kultur/themen/55231/
mfg
Michael Konzett
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