Rheinischer Merkur 31 10 02

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SCHULE / Zu viel Mittelmäßigkeit
Ideologie des Neides

Noch immer werden Schüler, die mehr als nötig leisten wollen, durch ungerechte Noten demotiviert.

Autor: CHRISTA MEVES

Wo immer Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Arbeitgeberverbandes, das Wort bekommt, wird er nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es das dominante Streben nach Gleichheit auf Kosten der Freiheit sei, das den Niedergang in Deutschland hervorriefe. Kompetent belegt er das in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung. Aber dabei bleibt er nicht stehen. „Pisa war längst vorauszusehen“, betont er; denn wir seien in Deutschland geradezu planmäßig darauf bedacht, geistige „Mittelmäßigkeit“ zu produzieren. Wir verschleuderten durch ein egalisiertes Schulsystem unsere Ressourcen und seien deshalb dem internationalen Wettbewerb auf die Dauer nicht mehr gewachsen. Ist das eine „allzu radikale“ oder zumindest „reichlich übertriebene“ Einschätzung? Nicht wenige Menschen, nicht nur Funktionsträger, unterstellen es.

Aber wer Gelegenheit hat, sich – jedenfalls in Niedersachsen – mit der Schulwirklichkeit unserer Kinder zu beschäftigen, kann bestätigen, dass nicht allein das unzureichende Niveau in den Kulturtechniken der Grundschüler, sondern vor allem auch die geradezu planmäßige Verhinderung von Elitebildung nicht selten ist.

Drei Beispiele: Der Viertklässler einer Gesamtschule glänzt in drei Hauptfächern mit Einsen. Sie werden im Zeugnis mit aber nur mit „gut“ bewertet. Also fragt er die Klassenlehrerin, warum er so heruntergestuft worden sei. Die Antwort: In der Schule komme es nicht nur darauf an, Einsen zu schreiben. Für ihn sei es wichtig gewesen zu lernen, mit den anderen, die nicht so gut seien, mitzuhalten.

Eine Siebtklässlerin hat mit viel Fleiß erreicht, dass sie in allen englischen Klassenarbeiten mit „sehr gut“ abgeschnitten hat. Bis auf die letzte Arbeit vor den Ferien. Da ist ihr Heft voll roter Tinte. Die Lehrerin hat spitzfindig – und sachlich falsch, wie ein anderer Anglist bestätigt – „Fehler“ entdeckt, um eine schlechtere Zensur im Zeugnis begründen zu können.

Ein Studienrat – Hauptfach Deutsch – ist in der Schule dafür bekannt, dass er sogar hervorragende Leistungen allenfalls mit „gut“ und im Oberstufenbereich im Bestfall mit zehn Punkten benotet. Das erklärt, warum viele Schüler Deutsch erst gar nicht als Leistungsfach wählen. Doch einige hoch motivierte Schüler wagen es in der Hoffnung, dass ihnen ein bewährter Lehrer zugeteilt wird. Aber sie haben Pech. Am Beginn der 12. Klasse, als der unbeliebte Lehrer den Deutsch-Leistungskurs übernommen hat, spricht er selbst seine rigide Benotung an: „Ich wollte nach meinem Abitur gern Medizin studieren. Aber meine Noten waren für den Numerus clausus nicht gut genug. Ich habe Germanistik gewählt, obgleich ich zu dem Fach keinen Draht habe. Wenn euer Berufswunsch ein Studium mit Numerus clausus erfordert und ihr den nicht erreicht, müsst ihr eben auch etwas anderes machen.“

Hans-Olaf Henkel übertreibt nicht. Es ist hierzulande möglich, dass hoch leistungsbereite Schüler planmäßig demotiviert werden, weil in den entsprechenden Pädagogen während ihrer Ausbildung der Stachel des Neides durch die Gleichheitsideologie eine schäbige Rechtfertigung erfahren hat. Diese Ideologie spricht aller echten pädagogischen Verantwortung und aller wahren pädagogischen Zielsetzung geradezu Hohn: nämlich der sittlichen Bildung und der Förderung eines möglichst hohen Leistungsniveaus der Schüler.

Aber bevor das nicht als ein durchgängiger Wahn in unserer Gesellschaft erkannt und zum Teufel gejagt worden ist, kann der Fehlweg nicht aufgegeben werden. Denn das gelingt ganz gewiss nicht durch noch mehr die Schülerleistung strangulierende Kontrollen auf den Oberschulen.

Unmenschlichkeit in der Pädagogik auf dem Boden der Ideologie des Neides ist ein Widerspruch in sich; denn das dient nicht der konstruktiven Gestaltung des menschlichen Geistes und verrät damit alle so beachtlichen Ansätze, die im „Jahrhundert des Kindes“ auf diesem Sektor geleistet wurden.

Und mehr noch: Die Ideologie des Neides – als soziale Gerechtigkeit verbrämt – ist ein Postulat, das unserem Land seit dreißig Jahren unermesslichen Schaden zufügt, indem sie den Nachwuchs aus bemühten Familien benachteiligt und so die Zukunft unserer Gesellschaft gefährdet.



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