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http://www.diezeit.de/2002/45/Politik/200245_fdp.html
Ein Schelm, wer bei diesem Artikel gleich an Österreich denkt? G.W.
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DIE ZEIT Politik 45/2002
Der Schönredner und das Biest
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Guido Westerwelle ist ein Getriebener. Der FDP-Chef will einer der ganz wichtigen Politiker Deutschlands sein. Aber sein Ehrgeiz macht ihn anfällig - auch für dubiose Kampagnen
von Matthias Geis
Berlin
Nichts hat Guido Westerwelle bislang verlauten lassen, was auch nur annähernd dem Debakel gerecht würde, das seine Partei am 22. September erlebt hat. Vielleicht liegt das daran, dass der frühere Generalsekretär und heutige FDP-Vorsitzende seit 1994 mehr Wahlschlappen durchstehen musste als jeder andere deutsche Spitzenpolitiker. Keiner hat so viel Übung darin, die großspurigen Ansprüche, die er vor einer Wahl erhoben hat, über die Enttäuschung der jeweiligen Niederlage hinwegzuretten. Noch die Analyse seiner Misserfolge betreibt Westerwelle ganz im Gestus des Siegers.
Es ist diese Methode des offensiven Verdrängens, mit der Westerwelle in der Vergangenheit die Krisenfälle seiner Partei und seine eigene Rolle darin zum Verschwinden gebracht hat. Man könnte es deshalb als kleinen Fortschritt verbuchen, dass sich der FDP-Chef diesmal wenigstens ein paar Tage wegduckte, bevor er wieder auftauchte - ganz wie man ihn
kennt: unduldsam und ohne erkennbares Schuldbewusstsein. Ob ihm seine Parteifreunde, die in dieser Woche zur Klausurtagung in Berlin zusammenkommen, das einfach durchgehen lassen? Fast möchte man meinen, die Zukunft der FDP hinge auch davon ab, ob die Liberalen Westerwelles eloquenter Schönrederei diesmal widerstehen.
Ohnehin ist der Versuch, die Verantwortung für die Wahlniederlage auf Jürgen Möllemann abzuladen, zu durchsichtig, als dass er erfolgreich sein könnte. Zu fasziniert war der Vorsitzende von Möllemanns überragendem Erfolg bei der vergangenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, und zu offenkundig hat er darin das Vorspiel seines eigenen Triumphes auf Bundesebene gesehen. Lange wirkten die beiden wie ein Tandem - nicht nur als es da-rum ging, den als seriös, aber zu langweilig geltenden Parteichef Wolfgang Gerhard zum Abgang zu drängen. Auch die zentralen Elemente der "Strategie 18" hat der Parteichef Stück für Stück aus Nordrhein- Westfalen übernommen: das Wahlziel 18 Prozent, den Auftritt als Protestpartei, die "den Etablierten" Beine machen sollte, die Kanzlerkandidatur. Und nie wirkte der Vorsitzende, als habe er sich das alles nur aufdrängen lassen.
Westerwelle ist ein Getriebener. Er hat sich vorgenommen, möglichst bald zu den wirklich wichtigen Politikern der Bundesrepublik zu zählen. Sein ungeheurer Ehrgeiz und sein Selbstbewusstsein sind in den vergangenen Jahren immer wieder durch herbe Niederlagen konterkariert worden. Westerwelle verortet sich und seine Partei längst in der "ersten Liga" der deutschen Politik, besteht sein mühsam errungener Erfolg eher darin, die FDP heute recht stabil über der 5-Prozent-Hürde zu halten. Gemessen an früheren Jahren ist das ein echter Fortschritt, gemessen an Westerwelles Ambitionen jedoch kaum der Rede wert. Unter diesem Missverhältnis zwischen bescheidenen Verhältnissen und hochgestochener Perspektive leidet Westerwelle. Genau aus diesem Grund konnte ein politischer Wunderheiler vom Schlage Jürgen Möllemanns Einfluss auf den Vorsitzenden gewinnen. Westerwelles Ehrgeiz und Erfolgswille machen ihn anfällig - auch für unseriöse Konzepte. Darin liegt seine Verantwortung für die populistische Überformung der FDP. Und für eine Niederlage, mit der die Partei nach den Monaten demonstrativen Größenwahns der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.
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Westerwelle war schon immer ein großer Vermarkter des Politischen - so groß, dass unter seinen Vermarktungsanstrengungen die Politik oft wie nebensächlich wirkte. Die Differenz von Schein und Sein, von Glimmer und Substanz droht bei Westerwelle leicht zu verwischen. Auch deshalb hat das Konzept der Spaßpartei viel mehr mit dem Vorsitzenden zu tun, als der heute wahrhaben möchte.
Und es blieb ja nicht beim Spaß. Zweifellos war es Möllemann, nicht Westerwelle, der im Wahljahr mit antisemitischen Ressentiments zu experimentieren begann. Aber selbst als dieses neue Element in Möllemanns Strategie 18 auftauchte, zog Westerwelle nicht den notwendigen Trennstrich, sondern moderierte verständnisvoll und baute Brücken zum NRW- Vorsitzenden. In dieser Phase sprach Westerwelle oft davon, die FDP müsse den gesellschaftlichen "Protest einsammeln". Der Vorsitzende zeigte sich fasziniert von Pim Fortuyns holländischem Erfolg, er begann gegen die "Tabuwächter" zu polemisieren und verteidigte das Recht der Jugend, anders auf die deutsche Geschichte zu blicken als ihre Eltern. Wie anders? Das ließ der FDP-Vorsitzende offen. Seine gezielten Vagheiten jedenfalls korrespondierten bestens mit Möllemann.
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