DER STANDARD
Samstag/Sonntag, 9./10. November 2002, Seite 39

Unigesetz, wir folgen dir!

Nur: Was wird dann aus der Reform? - Klagelied eines Rektors, der sich fest vorgenommen hat, den Pfad der Gesetzestreue bei der Umsetzung des UOG 2002 keinesfalls zu verlassen.

Gerald Bast*

Am 1. Oktober 2002 ist das neue Universitätsgesetz formell in Kraft getreten. Jetzt arbeiten die Universitäten an der Umsetzung der Reform. Schließlich sind die Uniangehörigen ja gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger. Die Aufforderungen und Ermahnungen der Minister und Parlamentarier, nur ja nicht vom Pfad der Gesetzestreue abzuweichen, wären wirklich nicht nötig.
Ein bisschen sind die gesetzestreuen Universitätsangehörigen vielleicht darüber enttäuscht, dass ihnen das überschießende Misstrauen der Minister und Parlamentarier nicht nur in Form von Aufforderungen und Ermahnungen zur Gesetzestreue entgegenschlägt, sondern auch in Form von Paragrafen in Gesetzen und Verordnungen, die festlegen, dass Wahlen in den Gründungskonvent der Universität auch dann gültig sind, wenn bloß ein einziger Wähler zur Wahl geht; und findet sich nicht einmal ein Einziger oder eine Einzige, dann darf die Ministerin stante pede ohne weitere Ermahnung oder Nachfrist selbst entscheiden. Pragmatismus . . .
So viel Misstrauen ist fast schon ein wenig kränkend für gesetzestreue Staatsbürger. Denn schließlich müssen sich auch in den Eintragungslokalen für ein Volksbegehren zunächst einmal 100.000 Staatsbürger einfinden, bevor dieses nach aufregender Diskussion im großen Archiv abgelegt werden darf.
Etwas irritiert waren und sind die gesetzestreuen Universitätsangehörigen auch, weil die seit zweieinhalb Jahren fleißig und gesetzestreu arbeitenden Studienkommissionsvorsitzenden die ihnen von den Ministern und Parlamentariern im Gesetz ausdrücklich versprochene Aufwandsentschädigung bis heute nicht erhalten haben. Grund dafür ist, dass die Minister leider noch nicht dazu gekommen sind, die entsprechende Verordnung, deren Erlassung das Gesetz ausdrücklich vorschreibt, tatsächlich zu erlassen.
Nun sind die gesetzestreuen Universitätsangehörigen aber wirklich ernsthaft verunsichert, wie denn das mit der Gesetzestreue genau zu verstehen ist: Die Minister und Parlamentarier haben ins Gesetz geschrieben, dass das neue Universitätsgesetz, welches ganz neue, hoch effiziente Universitätsstrukturen vorsieht, bis Ende 2003 tatsächlich wirksam werden muss. Dann haben die Minister eine große Firma beauftragt, ein ganz tolles Computerprogramm für ein neues Rechnungswesen zu entwickeln und an den Universitäten zu installieren. Das ist wichtig, weil sonst die Universität am 1. Jänner 2004 nicht
handlungs- und zahlungsfähig ist.
Damit diese Firma aber das Rechnungswesen für die neuen, hoch effizienten Universitätsstrukturen entwickeln und programmieren kann, braucht sie selbstverständlich von den Universitäten detaillierte Angaben, wie die neue Universitätsstruktur aussehen wird. Das ist ja klar. Und weil das Programmieren und Installieren und Schulen der Mitarbeiter/innen viel Arbeit ist und alles am 31. Dezember 2003 fertig sein muss, braucht diese von den Ministern beauftragte Firma die detaillierten Angaben über die neuen Aufbau-und Ablaufstrukturen sowie die Geschäftsprozesse an den Universitäten in der Regel schon im Jänner 2003. Allerdings haben die Minister und Parlamentarier in das neue Universitätsgesetz ebenfalls hineingeschrieben, dass natürlich nicht das alte, sondern das neue Rektorat zuständig ist für die Festlegung der neuen Universitätsstruktur. Das alte Rektorat haben die Minister und Parlamentarier sogar von der Wählbarkeit in den neuen Universitätskonvent ausgeschlossen, damit nicht noch der alte Geist die neuen, hoch effizienten Universitätsstrukturen vergiften kann. - Aber das neue Rektorat gibt es leider erst am 1. Oktober 2003! Wenn die alten Universitätsorgane also jetzt eine neue Universitätsstruktur für das neue Rechnungswesen der vollrechtsfähigen Universität vorlegen, dann handeln sie eigentlich nicht wirklich gesetzestreu, weil sie das nach dem Gesetz gar nicht dürfen.
. . . statt Gesetzestreue?
Die Firma braucht die Angaben aber noch, bevor die neuen, hoch effizienten Universitätsorgane überhaupt existieren, weil sie sonst mit ihrer Arbeit nicht rechtzeitig fertig wird. Und wird die Firma mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig, dann ist die neue, hoch effiziente Universität nicht zahlungsfähig, wenn das neue, hoch effiziente Universitätsgesetz am 1. 1. 2004 tatsächlich wirksam wird.
Das ist in der Tat ein Dilemma. Da hilft eigentlich nur Pragmatismus statt Gesetzestreue. - Aber dürfen gesetzestreue Universitätsangehörige pragmatisch sein statt gesetzestreu? Wo sie doch mehrfach ausdrücklich zur Beachtung der Gesetzestreue aufgefordert wurden! Allerdings - einen kleinen Pferdefuß hat auch der Pragmatismus: Wenn nämlich die gesetzlich unzuständigen alten Universitätsorgane die neue, hoch effiziente Universitätsstruktur jetzt noch festlegen, dann binden sie damit den gesetzlich zuständigen neuen, hoch effizienten Universitätsorganen (einschließlich des neuen Universitätsrates) die Hände. Denn das auf der Grundlage dieser einmal festgelegten Struktur programmierte Rechnungswesen kann nur mehr marginal oder nur mit erheblichem Kosten-aufwand abgeändert werden.
Teuflisches Dilemma
Zusammengefasst: Die alten Universitätsorgane müssen ohne gesetzliche Deckung eine neue Universitätsstruktur festlegen, damit die Universitätsreform überhaupt anlaufen kann. Tun sie dies, dann fesseln sie die neuen Universitätsorgane, die mit dem Argument eingerichtet wurden, ausschließlich sie könnten den Universitäten neue, effiziente Strukturen und Arbeitsbedingungen verpassen.
Fürwahr ein teuflisches Dilemma - und ein paradoxes dazu, in das die gesetzestreuen Universitätsangehörigen von den gesetzestreuen Ministern und Parlamentariern da gebracht wurden: Bleiben die Universitätsorgane gesetzestreu, dann verhindern sie die Umsetzung des neuen Universitätsgesetzes. Handeln sie pragmatisch, behindern sie die gesetzestreue Umsetzung des neuen Universitätsgesetzes durch die zuständigen neuen Universitätsorgane Man sollte gesetzestreue Staatsbürger nicht in solche Situationen bringen, sonst könnten sie am Ende gar noch die Gesetze anzweifeln.

*Rektor der Universität für
angewandte Kunst in Wien


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