Gefunden unter
http://www.welt.de/daten/2002/11/02/1102lw365889.htx

Die Republikanische Partei bläst zum Krieg, weil sie eine Diktatur errichten will Von Richard Rorty

An einigen Tagen erzählt Washington uns, wir müssten den Irak aus Gründen angreifen, die schon vor dem 11. September da waren und die von diesem Ereignis völlig unabhängig sind. An anderen Tagen sagt man uns, der Plan, Saddam zu stürzen, sei ein Teil des "Kriegs gegen den Terror", der am 11. September begonnen hat. Dieser schnelle Wechsel erzeugt einen verwischten Eindruck. Und dieser verwischte Eindruck hilft, die Tatsache zu verbergen, dass keines der beiden Argumente für einen Angriff auf den Irak je auf eine Weise begründet worden ist, die ein Kriegsermächtigungsgesetz ohne klare geografische oder zeitliche Einschränkungen rechtfertigen würde, wie es jetzt von einem rückgratlosen Kongress verabschiedet wurde.

Sogar wenn der 11. September nicht passiert wäre, könnte die Gefahr, wenn man dem Irak erlaubt, Waffen herzustellen, immer noch größer sein als die Gefahr eines Chaos im Nahen Osten - eines Chaos, das von dem Versuch ausgehen wird, einen kompletten Regimewechsel zu Stande zu bringen. Aber die Bush-Regierung hat kein Interesse daran, auf diese Art zu argumentieren. Eine echte öffentliche Debatte über das, was notwendigerweise getan werden muss, ist das Letzte, was sie will. Denn eine solche Debatte würde die Überzeugung gefährden, die sie befördert: dass wir uns längst mitten im Krieg befänden und der Präsident deswegen mit derselben Macht und derselben Freiheit von jeder Pflicht zur Rechenschaft ausgestattet werden müsse wie Roosevelt im Zweiten Weltkrieg. Insbesondere muss der Präsident das Recht haben, alles geheim zu halten, was er möchte - sogar seine Gründe, diesen oder jenen Ort und Zeitpunkt zum Kriegführen zu wählen.

Es liegt nicht nur im Interesse der Republikanischen Partei, ein Blanko- Kriegsermächtigungsgesetz zu haben, sondern auch, sicherzustellen, dass das Land sich möglichst lange "im Krieg" befindlich wähnt. Denen, die diese Partei kontrollieren - einer erstaunlich gierigen und zynischen Oligarchie, der nicht das Geringste an Bürgerrechten oder der Wohlfahrt der Armen gelegen ist -, würde es sehr gefallen, wenn es ihnen gelänge, jenen Geisteszustand wiederherzustellen und ewig zu verlängern, der 1944 zur nie da gewesenen, dritten Wiederwahl von Roosevelt führte. Die Wahl damals wurde durch den Slogan gewonnen: "Man soll nicht mitten im Strom die Pferde wechseln." Es liegt im Interesse der Oligarchie, eine permanente Militarisierung des Staates herbeizuführen, wie sie in Orwells "1984" beschrieben und durch den Buchtitel von Gore Vidal beschworen wird: "Ewiger Krieg für ewigen Frieden".

Man sollte annehmen, die Opposition würde die Strategie der Selbstfortzeugung enthüllen, die von der Regierungspartei angewandt wird. Aber die Demokraten sind zutiefst erschrocken. Sie sehen die günstigen Umfragewerte, die George Bush nach dem 11. September genießt, als ein Omen und glauben, die Weigerung, den geplanten Krieg gegen den Irak zu befürworten, würde zeigen, dass sie dem Terrorismus gegenüber nicht entschlossen genug sind. Demokratische Politiker können der Öffentlichkeit kaum die Wahrheit sagen: dass sie genauso ratlos sind wie die Republikaner, dass sie auch nicht wissen, wie man sicherstellt, dass keine anderen amerikanischen Städte angegriffen werden. Angesichts einer Bedrohung, bei der kein Mensch eine Vorstellung hat, wie man mit ihr umgehen soll, sind beide Parteien unfähig, freimütig mit den Wählern zu sprechen. Kein amerikanischer Politiker kann zugeben, dass unser militärischer Heldenmut wenig tun kann, um die Bedrohung zu mindern, dass unsere Städte unvorhersagbaren und unvermeidbaren Angriffen durch kleine Nicht-Regierungs-Organisationen wie Al Qaida zum Opfer fallen.

[ .----.]

Wenn wir solche Angriffe auch nicht verhindern können, sind wir vielleicht aber doch im Stande, sie zu überleben. Wir haben vielleicht die Kraft, unsere demokratischen Institutionen unbeschädigt zu erhalten, sogar nachdem wir begriffen haben, dass unsere Städte nie mehr unverwundbar sein werden. Wir können vielleicht den moralischen Ertrag behalten, den der Westen in den letzten zwei Jahrhunderten erbracht hat - den Zuwachs an politischer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit -, auch wenn sich ein 11. September nach dem anderen wiederholt. Aber dies wird uns nur gelingen, wenn die Wähler in den demokratischen Ländern ihre Regierungen davon abhalten, ihre Länder in einen Zustand des permanenten Krieges zu versetzen; einen Zustand, in dem weder Richter noch Zeitungen das FBI davon abhalten können zu tun, was ihm gefällt, und das Militär die meisten Ressourcen des Landes verschluckt.

Aus dem Amerikanischen von Hannes Stein
© Richard Rorty in "The Nation" 2002



--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.