DER STANDARD
Mittwoch, 13. November 2002, Seite 11

Wohnung mit jüdischer Geschichte

Volkshochschule: Internetdatenbank zu NS-Verbrechen an Juden
Wien - In der eigenen Wohnung verbergen sich oft schon viele Geschichten ehemaliger Mieter. Vielleicht eine Geschichte, die im Deportations- lager endete oder im schlimmsten Fall mit dem Tod im Konzentrationslager. Wer glaubt, in einer Wohnung mit solcher Geschichte zu leben, kann diese Vermutung nun im Internet überprüfen: Die Volkshochschulen Hietzing und Simmering haben eine Datenbank erstellt, in der nach ehemaligen jüdischen Mietern und ihren Wohnorten gesucht werden kann. Extra ausgewiesen wird bei der Abfrage, wo - sofern bekannt - die Geschichte von bisher 983 erfassten jüdischen Nachbarn endete. Etwa von Emma Bernzweig aus der Leopoldstadt, die von den Nazis nach Minsk deportiert wurde. Ein eigenes Kapitel ist den Juden in Hitzing gewidmet. Geplant ist, die auf Englisch und Deutsch geführte Datenbank zu erweitern um die Geschichte von Behinderten, die einst von den Nazis umgebracht wurden. Die Daten basieren auf dem Buch "Kündigungsgrund Nichtarier" (Picus
Verlag) - die Autoren haben die Geschichte der Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus Gemeindebauwohnungen recherchiert. Weil in Wien gro- ße Wohnungsnot herrschte, wollte das NS-Regime mit der Vertreibung der Juden schnellstens freie Wohnungen schaffen. Als Kündigungsgrund genügte es "Nichtarier" zu sein. Gemeindewohnungen, die zwischen 1917 und 1938 gebaut worden waren, unterlagen nicht den Kündigungsbeschränkungen des
Mietengesetzes; Mieter konnten ohne Weiteres mit zweiwöchiger Frist gekündigt werden. "Dieses ,Wir haben nichts gewusst'" von Verbrechen an jüdischen Mitbürgern ist für Walter Schuster von der Volkshochschule Simmering mit dieser Datenbank "eindeutig widerlegt". Alle müssten etwas mitbekommen haben - jeder hatte Nachbarn. (aw) www.ns-verbrechen.at


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