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"Anspruch auf individuelle Förderung"

GEW fordert behutsamen Umbau des Schulsystems

Berlin - "Einen individuellen Anspruch auf Förderung in der Schule für jedes Kind" hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf einer Tagung von Schulexperten in Berlin gefordert. Wenn Bildungsziele nicht erreicht würden, müsse die Schule in die Lage versetzt werden, Fördermaßnahmen zu ergreifen, die "jedem Einzelfall" gerecht würden. Diese Forderung formulierte GEW-Vorstandsmitglied Marianne Demmer.

Dazu brauchten die Schulen vor allem qualifizierte Lehrkräfte in ausreichender Zahl, die deutlich mehr Zeit für Kinder hätten. "Eine Minute und dreißig Sekunden pro Kind und Vormittag sind ein Skandal", stellte die GEW-Schulexpertin fest. Schule und Lehrkräfte brauchten zudem die Unterstützung von sozialpädagogischen Fachkräften, Schulpsychologen, Sprachtherapeuten und medizinischem Personal.

Im Gegensatz zu anderen Ländern sei individuelle Förderung in Deutschland nach wie vor "Privatsache". Wenn sie stattfinde, dann im Elternhaus oder in Form "teuren Nachhilfeunterrichts", den sich oft viele, die es am nötigsten hätten, nicht leisten könnten. Wörtlich sagte Demmer: "Das individuelle Förderprinzip entspricht derzeit nicht der Philosophie unseres Schulwesens. Weder sind die Lehrkräfte entsprechend ausgebildet, noch sind die notwendigen Unterstützungseinrichtungen vorhanden."

Dass schulische Bestleistungen und Chancengleichheit kein Widerspruch seien, hätte die PISA-Studie eindrucksvoll belegt. Zwei deutsche Reformschulen, die Laborschule in Bielefeld und die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden hätten zudem gezeigt, dass hervorragende Ergebnisse auch in Deutschland zu erreichen sind, wenn die Bedingungen stimmten. Die beiden Schulen hatten sich freiwillig den PISA-Tests unterzogen und Spitzenergebnisse im internationalen Vergleich erzielt.

Auch vor diesem Hintergrund sieht die GEW "im Beharren auf früher Selektivität im deutschen Schulwesen eine politische Dummheit". Dadurch würde die internationale Rückständigkeit Deutschlands weiter verfestigt. Nicht "aus Nostalgie oder Rechthaberei" halte die GEW dagegen am Grundsatz "eine Schule für alle" fest. Es habe sich herausgestellt, dass andere Schulsysteme besser seien.

In diesem Sinne schlage die GEW nach 30 Jahren Gesamtschulstreit einen "behutsamen Umbau des deutschen Schulsystems" vor. Dazu müssten zunächst alle bestehenden Schulen der Sekundarstufe I auf der Basis einheitlicher Bildungsziele arbeiten und mit Grundschulen kooperieren. Nach der neunten oder zehnten Klasse dürfe es nur noch einheitliche Bildungsabschlüsse geben. Dies könne bei entsprechender Förderung auch für
Haupt- und Sonderschulen gelten. Sitzen bleiben und Wechsel der Schule dürfe nur noch auf freiwilliger Basis erfolgen. Für Lehrkräfte müsse die Arbeit in Lerngruppen mit unterschiedlich begabten Schülerinnen und Schülern zum "pädagogischen Normalfall" werden. "Qualität und Chancengleichheit sind für die GEW zwei gleichrangige Ziele, für die alle Beteiligten Verantwortung tragen", resümierte Demmer die Forderungen der Bildungsgewerkschaft.


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