Ein Mann wird der auf ihn gehaltenen Laudatio gerecht:
(im Mai 2002) und er legt für die andern die Latte -
angemessen hoch. Im Sinne der Gesamtheit.
G.W.
http://www.welt.de/daten/2002/05/08/0508fo330765.htx
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Konservativ und frei: Arnulf Baring zum 70. Geburtstag
Barings gutbürgerlicher Wertekanon: Bescheidenheit, intellektuelle Redlichkeit, ziviler Umgang der Menschen und Staaten miteinander; Familie, Dienst an der Gemeinschaft, Liebe zu Deutschland
Von Tilman Krause
Das große Bildungserlebnis, das die akademische Jugend Berlins Arnulf Baring von den 70er Jahren bis zu seiner Emeritierung 1998 verdankt, ist die menschenfreundlich formulierte Ermunterung, eine alte, immer gültige Lehre zu beherzigen: Sapere aude - habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Lägst war ja in jenen Jahren der viel beschriebene autoritäre Charakter der Deutschen nach links gewandert, bestimmten unfrohe, leisetreterische 68er, die sich ohne bei Adorno nachgeschlagen zu haben, gar nicht aus dem Haus trauten, den akademischen Diskurs. In den Geisteswissen- schaften gaben junge Leute, die nur noch Sekundärtexte lasen, hochgezüchtetes Lacancan und Derridada von sich; je ungeistiger, illiterater die Elternhäuser gewesen waren, desto delirierender.
Und dann muss man erlebt haben, wie Baring ihnen in die Sprechblasen-Parade fuhr. Amüsiert, aber die Redner keineswegs der Lächerlichkeit preisgebend, quittierte er mit dem ihm eigenen fröhlichen Flötenton die angestrengte, von Zitaten der jeweils angesagten Meisterdenker durchsetzte Suada: "Alles schön und gut, aber was würden Sie denn nun selber sagen?"
Ja, was würde man selber sagen, wenn man sich seines eigenen Verstandes und seiner eigenen Worte bedienen würde? Der verwirrte Student, solchermaßen im Kern seiner Persönlichkeit "angeredet", wie Baring, darin von Jaspers kommend, gern sagte, nicht gewöhnt, dass seine individuelle Meinung gefragt, er selber, ganz wie er da war, gemeint war, der verwirrte Student konnte sich nicht mehr hinter Autoritäten verstecken. Auch Baring tat das nicht. Auf seine Weise war er durch die Schule der sechziger, siebziger Jahre gegangen, hatte sich "kritisches Bewusstsein" angeeignet - immerhin regte er schon 1962, in Melvyn Laskys "Monat", in einem Artikel, der nur aus Fragesätzen bestand, die Anerkennung der deutschen Teilung an - und ließ auf dem Katheder, im Seminar und jener inzwischen schon legendären "Familie", seinem inner circle an der Freien Universität (FU) keine politische Figur, keine Doktrin, keine politologische Instanz "unhinterfragt", egal, welcher Richtung sie zuzuordnen war.
Dabei machte er aus seinen überpolitischen Wertmaßstäben nie einen Hehl. Sie lauteten, gut bürgerlich, beispielsweise Bescheidenheit, intellektuelle Redlichkeit, ziviler Umgang der Menschen und Staaten miteinander (nie wurde er polemischer, als wenn es das zu geißeln galt, was er mit dem Titel eines seiner Erfolgsbücher der achtziger Jahre "unseren neuen Größenwahn" nannte). Die Wertmaßstäbe lauteten auch Familie, Dienst an der Gemeinschaft, Liebe zu Deutschland ("Das Vaterland wartet auf Euch", konnte er ganz ernst, zur vollendeten Verblüffung der Betroffenen, säumigen Studenten zurufen); und diese Liebe zu Deutschland, die, wie bei vielen Deutschen, ihren letzten Schliff im Ausland erhalten hatte, sie hinderte ihn nicht daran, dem eigenen Land bittere Wahrheiten zu sagen.
Konservativ und frei, frei vor allem von ideologischen Scheuklappen und Frageverboten, die den deutschen Intellektuellen so oft auszeichnen, trat Arnulf Baring vor seine Studenten. Wie kein anderer in unserem Land stellt er auch heute, da der gebürtige Dresdner in Berlin seinen 70. Geburtstag begeht, unter Beweis, dass man konservativ und zugleich unkonventionell, neugierig und mit jener gut gelaunten Begeisterungsfähigkeit begabt sein kann, der nicht nur Studenten so bitter bedürfen, wenn sie motiviert und mitgerissen werden sollen.
Ja, Arnulf Baring, der fundierte Zeithistoriker und streitbare Publizist, der Fernsehstar und politische Feuilletonist, ein so kompetenter wie charmanter Ratgeber der Mächtigen, er hat, will mir scheinen, seine wahre Mission doch als akademischer Lehrer erfüllt. Er, der an der FU in der Hauptsache internationale Beziehungen lehrte, hätte auch Psychologie und Pädagogik, Literatur und deutsche Geschichte vom Mittealter bis in die Neuzeit unterrichten können, also alles, was sich als Wissenschaft vom Menschen betreiben lässt, dem, wie der Goethe-Kenner Baring weiß, immer "das eigentliche Studium der Menschheit" dienen muss.
Arnulf Baring als akademischer Lehrer steht in der Tradition jenes bildungsbürgerlichen "Berliner Geistes", der, um nur im Bereich des Historischen zu bleiben, von so weitsichtigen, über die engen Fachgrenzen hinausblickenden Köpfen wie Wilamowitz, Meinecke oder Eduard Spranger verkörpert wurde. Das deutsche Bildungsbürgertum, es lebt, solange es Persönlichkeiten wie Arnulf Baring gibt. Darum, nicht nur, aber doch auch, wünschen wir ihm und uns zu seinem Jubeltag, dass er noch lange unter uns weilen möge. Das Vaterland wartet noch auf manches Buch, auf manche kritische Frage von ihm und nicht zuletzt auf die durch ihn verbürgte Gewissheit, wie befreiend es wirken kann, konservativ zu sein.
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