So begeistert bin ich von diesem Artikel nicht. Hinterher klüger sein ist keine Kunst. Drei Einwände zu Einzelbehauptungen:

1. "Es ist kein gutes Zeichen, dass Unternehmen ihre eigenen Aktien aufkaufen müssen, um ihren Kurs zu stützen."
E.W.: Aktienrückkauf ist i.d.R. kein Instrument der Kurspflege. Erst recht ist es i.d.R. kein "müssen". Firmen kaufen deshalb eigene Aktien zurück, weil sie sie für unterbewertet halten (eine Art Finanz-Anlage), und weil sie sich Dividendenzahlungen ersparen. Aktuelles Beispiel aus
Ö: Mayr-Melnhof, die schon fast 9% ihrer Aktien zurückgekauft haben und noch auf 10% aufstocken wollen.

2. "Doch der aberwitzige Wertzuwachs der IT-Technologie-Aktien resultiert in erster Linie aus der übertriebenen Liberalisierung, die spekulativen Kapitalbewegungen keinerlei Fesseln anlegt."
E.W.: Die berühmte Tulpenzwiebel-Hausse in Holland vor 300 Jahren oder so, die in allen Lehrbüchern zitiert wird, beweist schon, daß Kurs-Übertreibungen überhaupt nichts mit Kapital-Liberalisierung zu tun haben - sie sind vielmehr ein (massen)psychologisches Phänomen. Im Kleinen findet man es auch bei Auktionen, egal ob Oldtimer oder Unterwäsche von Marilyn Monroe, und sogar bei normalen Konsumgütern, z.B. Tamagochi (dafür haben sich die Japaner nächtelang angestellt und Schwarzmarktpreise bezahlt, als sie rauskamen). Manche Autoren sehen halt überall die böse Globalisierung mit Pferdefuß und Hörnern ...
P.S.: An den Aktienmärkten gibt es nicht nur Über-, sondern auch Unterbewertungen (aktuelles Beispiel aus Ö: Rosenbauer, Semperit). Wer oder was wäre daran wohl schuld, wenn hinter den ÜBERbewertungen wirklich die Globalisierung steckt?

3. "Das Hauptmerkmal des Kapitalismus besteht in seiner Fähigkeit, sich durch Krisen zu erneuern und zu verjüngen. Der Ausweg aus dem "Shareholder-Kapitalismus" wird nicht vom Himmel fallen. Ein solcher Ausweg setzt jedenfalls voraus, dass den Finanzmächten entschlossen das Heft aus der Hand genommen und die Logik des Systems verändert wird."
E.W.: Fällt dem Verfasser nicht auf, daß er sich da selber widerspricht? Wenn sich der Kapitalismus (gemeint: SELBER) "erneuern und ... verjüngen" kann, dann braucht niemand den Finanzmächten das Heft aus der Hand zu nehmen (der Passivsatz impliziert ein Agens) - und die Logik des Systems sorgt von selber für Veränderung, sie braucht nicht von außen verändert zu werden.

Erich Wallner



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-lehrerforum@ccc.at [mailto:owner-lehrerforum@ccc.at] Im Auftrag von Günter Wittek
Gesendet: Sonntag, 1. Dezember 2002 20:56
An: Lehrerforum
Betreff: LF: Systemkrise und "brandstiftende Feuerwehr"


Ein Artikel für Politische Bildung,
wie er meines Erachtens besser nicht geschrieben
werden kann, unter
http://www.taz.de/pt/2002/11/15/a0025.nf/textdruck

Günter Wittek



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