DER STANDARD
Donnerstag, 5. Dezember 2002, Seite 14

Menschenrechtsproblem Schubhaft

In vielen Schubhaftanstalten werden Menschenrechte immer noch grob vernachlässigt. Manche Polizeikotter gleichen Folterkammern. Diese Bilanz zieht der Menschenrechtsbeirat nach zweieinhalbjähriger Tätigkeit seiner Kommissionen.
Wien - Die gröbsten Menschenrechtsprobleme gibt es nach wie vor in
Schub- und Polizeihaft - diese Bilanz zogen am Mittwoch die sechs Kommissionen des Menschenrechtsbeirates. Seit Juni 2000 haben die unabhängigen Teams österreichweit - meist unangemeldet - rund 850-mal Dienststellen der Polizei und Gendarmerie besucht, um die Einhaltung der Menschenrechte zu kontrollieren. In 40 Fällen wurden Einsätze bei Demos und Razzien begleitet. "In Wien gleicht es einem geografischen Lotteriespiel, ob ein Festgenommener seinen Anwalt sofort verständigen darf oder nicht, dabei ist das ein zentrales Grundrecht", schilderte Rechtsanwalt Georg Bürstmayr seine Kommissionserfahrungen. Auch über die Verhängung der Schubhaft werde willkürlich entschieden. "Die Hälfte aller Schubhaftfälle könnten vermieden werden, wenn Befragungen von Asylwerbern schneller durchgeführt würden", ist der Verfassungsjurist Georg Lienbacher aus Linz überzeugt. Besuche der Kommissionen führten zu zahlreichen Schließungen von heruntergekommenen Verwahrungsräumen. "Manche glichen eher Folterkammern", so Lienbacher. Erfolgreich sei das Linzer Modell mit offenen Stationen in Schubhaftanstalten. Darin können sich Insassen in einem größeren Bereich inklusive Teeküche frei bewegen. Der Menschenrechtsbeirat im Innenministerium wurde Ende 1999 nach Kritik des Antifolterkomitees (Europarat) an Österreich eingerichtet. Letztendlich ausschlaggebend war der Erstickungstod des nigerianischen Schubhäftlings Marcus Omofuma. Dem Beirat gehören zwölf ehrenamtliche Mitglieder an, den Vorsitz hat der Verfassungsrichter Gerhart Holzinger inne, Stellvertreter ist Universitätsprofessor Bernd Christian Funk. Kritiker bemängeln, dass der Innenminister den Beirat abberufen kann. Tatsächlich hat Ressortchef Ernst Strasser (VP) den Gendarmerieoberst Oskar Strohmeyer wegen dessen Kritik nicht nur zur Flugpolizei versetzt, sondern ihn auch aus dem Menschenrechtsbeirat gefeuert. Augen und Ohren des Beirates bilden die Kommissionen, die Werkverträgen mit dem Innenministerium haben - alles in allem 480.000 Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Allein der Polizeieinsatz beim Weltwirtschaftsgipfel in Salzburg kostete sieben Millionen Euro. Die Werkverträge der Kommissionsmitglieder laufen Ende des Jahres aus, noch wird über künftige Kosten und steuerliche Regelungen verhandelt. Ein derzeit "ruhendes" Kommissionsmitglied, der Wiener Migrationsexperte Bülent Öztoplu, könnte bald wieder aktiv werden. Wie berichtet, wurde er im Vorjahr völlig überraschend festgenommen, weil er im Jahr 1984 in Mannheim in eine dubiose Polizeirazzia geraten war. Der Prozess in Deutschland geht heute, Donnerstag, zu Ende. Wird Öztoplu freigesprochen, soll er nach Meinung von Bernhard Funk "voll rehabilitiert" werden. (simo)
www.menschenrechtsbeirat.at


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