Das kann doch nur ein Scherz sein! "Ein Professorenkind kommt dreimal so leicht ins Gymnasium als ein Arbeiterkind". Klassenkämpferischer geht es ja nicht mehr! Ich kann mich natürlich schon erinnern, dass so manche alte Professoren meiner Schule, in die ich als Schüler ging, großes Interesse für unsere Abstammung hatten. Das dritte Reich war also nicht ganz spurlos an ihnen vorübergegangen. Aber heute, nach mehr als 50 Jahren Demokratie solche Aussagen zu treffen, halte ich für ewiggestrig. MfG Josef Zwickl
----- Original Message -----
From: "Timo Davogg"
To: "Lehrerforum"
Sent: Wednesday, December 04, 2002 6:53 PM
Subject: LF: ZEIT: Gesamtschule, aber ohne alte Ideologie


> (c) DIE ZEIT 49/2002
>
> http://www.zeit.de/2002/49/01_Leit_1_2f49
>
> Penne(n) trotz Pisa
>
> Wir brauchen die Gesamtschule, aber ohne die alte Ideologie
>
> Von Martin Spiewak
>
> So viel Bildung war selten. Die Pisa-Studie hat den Langweiler Schule
> in einen Aufreger verwandelt und Bildung wieder zum Hauptfach der
> Politik gemacht. In keinem Land der Welt fand der internationale
> Schülervergleich ein so lautes Echo wie in Deutschland. Das Zeugnis
> für unsere Schulen war verheerend. Fragt man ein Jahr später aber nach
> den Veränderungen, fällt
die
> Bilanz trübe aus. Die wichtigste Frage bleibt ohne Antwort: Wie werden
> wir den zweifelhaften Ehrentitel los, Weltmeister in der Disziplin
> „Ungerechtigkeit“ zu sein? Deutschland ähnelt einem Schüler, der knapp
> am Sitzenbleiben vorbeigeschrammt ist und nun meint, mit etwas
> Nachhilfe
hätte
> er das Abitur bereits in der Tasche.
>
> Das schlechte Abschneiden der 15-Jährigen beim Lesen, Rechnen und in
> den Naturwissenschaften schockierte alle in diesem Land. Eigene
> Verantwortung für die Misere übernahmen nur wenige. Wie viele Städte
> haben ihre Schulleiter zusammengetrommelt und beratschlagt, was sich
> in ihren Schulen schnell ändern muss? Welcher Lehrerverband hat
> gefordert, dass deutsche Pädagogen wie in anderen Ländern den ganzen
> Tag in der Schule verweilen?
Wo
> waren die Eingeständnisse sozialdemokratischer Schulpolitiker, dass
> man Leistung vernachlässigt habe? Und welcher Konservative fragte sich
> öffentlich, ob das dreigliedrige Schulsystem tatsächlich der
> Schulweisheit letzter Schluss sei? Die Schulen diskutierten die
> Pisa-Ergebnisse
ausgiebig.
> Doch oft nur auf dem Flur statt in der Lehrerkonferenz.
>
> Durchlässig nur nach unten
>
> Richtig lernunwillig erweist sich unser Land angesichts des größten
> Versagens seines Schulsystems, für Chancengleichheit zu sorgen. Zur
> Erinnerung: Für den Professorensohn ist es dreimal so leicht, auf das
> Gymnasium zu kommen, wie für ein Arbeiterkind mit gleichen
> Fähigkeiten.
>
> Subtile Mechanismen verstärken das Handikap der Herkunft, anstatt es
> wie
in
> anderen Ländern zu mildern. Schon in Kindergarten und Grundschule
> erhalten sozial benachteiligte Kinder zu wenig Förderung. Selbst wenn
> sie das Gymnasium schaffen könnten, trauen ihnen Lehrer wie Eltern oft
> nur die Hauptschule zu. Hier treffen sie auf Mitschüler aus ebenso
> schwierigen familiären Verhältnissen – und auf Lehrer, die ihre
> geringen Leistungserwartungen eben auf solche Kinder einstellen.
>
> Die einmal eingeschlagene Schullaufbahn ist kaum korrigierbar.
> Deutsche Schulen sind vor allem in eine Richtung durchlässig: nach
> unten. Auf 100 Schüler, die in eine niedrigere Schulform absteigen –
> das zeigte eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen –, kommen nur fünf
> Kinder, die in
einen
> anspruchsvolleren Bildungsgang wechseln.
>
> Wer die geforderte Leistung nicht bringt, wird nicht versetzt,
> heruntergestuft, abgeschoben. Die Beweispflicht, ob ein Kind auf ein
> Gymnasium „gehört“, liegt bei ihm. Das findet in Deutschland jeder
> normal. Ebenso, dass die Förderung weitgehend in Familienhand liegt.
> Die Versäumnisse der Schulen bescheren der Nachhilfeindustrie jährlich
> rund
eine
> Milliarde Euro an Einnahmen. Sollte es einreißen, dass Eltern – wie
zurzeit
> in Hamburg – Ersatzlehrer bezahlen, um Unterrichtsausfall zu
> vermeiden,
wird
> die Grundbildung weiter privatisiert. In anderen Ländern liegt die
> Verantwortung stärker bei den Lehrern; sie sind es, die Kinder
> befähigen,
im
> Unterricht mitzukommen.
>
> Das scheint auch mit den Schulformen zusammenzuhängen. Das selektive
> Schulsystem entlässt die Lehrer aus der Pflicht, sich um schwierige
> und abweichende Schüler zu kümmern. In der deutschen Debatte nach Pisa
> wagte niemand, die Systemfrage zu stellen. Der Dreißigjährige Krieg um
> das Für
und
> Wider der Gesamtschule hat niemandem genutzt. Angesichts der
internationalen
> Erfahrungen ist es jedoch fraglich, ob die Einteilung in Gymnasium,
> Real- und Hauptschule ewig unantastbar bleibt. Denn je früher die
> Auslese
beginnt,
> je hierarchischer das Schulsystem aufgebaut ist, desto stärker schlägt
sich
> die soziale Herkunft eines Schülers auf seine Leistungen nieder. In
> beiden Disziplinen ist Deutschland Spitze: Nirgendwo gliedert sich das
> Schulwesen derart streng, fallen die Entscheidungen über Lebenschancen
> in so jungen Jahren – und bleiben so viele Schüler sitzen.
>
> Diese Bestenauslese soll die Leistungsfähigkeit aller stärken? Pisa
beweist
> das Gegenteil. Am besten schnitten jene Nationen ab, in denen die
> Schüler bis zur neunten Klasse gemeinsam lernen. Zugleich können diese
> Länder eine höhere Abiturquote vorweisen und weniger
> Bildungsverlierer. Beides zeigt: Chancengleichheit ist weder
> pädagogische Sekundärtugend noch linker Luxus.
>
> Sprechen wir es aus – langfristig brauchen wir Gesamtschulen. Nur
> nicht in ihrer deutschen Version, in der Kinder nicht allein zu guten
> Schülern, sondern zu „besseren Menschen“ geformt werden sollten. Mit
> der frühen Auslese wurde dort auch die Leistung abgeschafft. In den
> Großstädten wurde „die Schule für alle Begabungen“ oft zur
> Hauptschule, in der die Kinder
zwar
> gute Noten bekommen, aber weniger lernen als anderswo. Das hat eine
> Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung belegt.
>
> Die Reform kann sofort beginnen
>
> Schüler mit unterschiedlichen Begabungen lassen sich nicht gemeinsam
> unterrichten, sagen deutsche Lehrer. Ihre Kollegen in Skandinavien,
> Kanada oder Japan zeigen, dass es doch geht. Sie haben es in ihrer
> Ausbildung gelernt, verfügen über entsprechende Unterrichtsmaterialien
> und häufig
über
> zusätzliches Personal. Sie fördern die Schwachen und fordern die
> Guten.
Und
> sie stellen sich regelmäßigen Leistungskontrollen.
>
> Man muss nicht das Bildungsgebäude einreißen, um in deutschen Schulen
etwas
> zu verbessern. Schulen brauchen weniger Vorschriften und viel
> Freiraum, dennoch muss der Staat kontrollieren, was sie leisten. Ein
> guter
Unterricht
> kaut kein Wissen vor, sondern lässt Schüler eigene Erfahrungen machen.
> Das Lernen muss im Kindergarten beginnen. Eine schulferne
> Lehrerausbildung produziert keine guten Pädagogen. Dass all dies heute
> auch in Deutschland Konsens ist, kann ebenfalls als Erfolg von Pisa
> gelten. Andere Länder wie Finnland oder Kanada kennen diese Lektionen
> freilich seit Jahren und haben daraus längst Konsequenzen gezogen.
>
> Damit hapert es in Deutschland. Es gibt die Aussicht auf mehr
> Ganztagsschulen. Aber keiner weiß, wer sie bezahlen soll. Das
> versprochene Geld aus Berlin wird nicht reichen. Statt einer
> Hartz-Kommission für die Bildung gab es Absichtserklärungen der
> Kultusministerkonferenz (KMK).
>
> Immerhin beschloss die KMK, alle deutschen Unterrichtsanstalten
regelmäßigen
> Leistungstests zu unterziehen. Das ist gut. Bildungsbehörden müssen
> erfahren, wann Schulen Talente verschwenden, wenn Lehrer und
> Schulleiter Hilfe brauchen – oder Sanktionen folgen müssen. Doch bis
> Pädagogen nachgeschult sind oder Schulvorsteher in Pension gehen,
> werden Jahre vergehen und die deutschen Schulen weiter zurückfallen.
>
> Einige Projekte zum besseren Lesen hier, diverse Programme für einen
anderen
> Unterricht dort werden daran nichts ändern. Es ist zu wenig, wenn nur
einige
> Dutzend Schulen in Zukunft aus dem Klammergriff der Bildungsbürokraten
> befreit werden. Es reicht nicht, dass einige wenige Universitäten ihre
> Lehrerbildung vom Kopf auf die Füße stellen.
>
> Jeder Lehrer, jeder Schulleiter, jede Schule kann morgen mit der
> Reform beginnen. Wer darauf wartet, dass sich alles ändert, will nur,
> dass nichts geschieht. Langfristig jedoch wird sich der deutsche
> (Schul-)Weg der immer früheren und härteren Auslese als Anachronismus
> erweisen. Deutschland braucht alle Schüler und eine Schule für alle.
>
>
>
>
>
> --
> Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at)
> betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein
e-mail
> an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im
> Nachrichtentext.
>

--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.