PRESSE 10 12 02

Kinder lesen nicht schlechter, nur anders als Erwachsene

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Wichtige Informationen aus einem Text filtern, und zwar so schnell wie
möglich: Darin sind junge Leser Meister. Das konzentrierte Lesen muß gelernt werden. Lehrer setzen auf Verführungstaktik.

VON SUSANNE KOSSARZ

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WIEN. Ob Plakate in der U-Bahn oder Aufschriften auf der Cornflakes-Packung, ob SMS am Handy oder E-Mails am Computer: Österreichs Kinder und Jugendliche lesen pausenlos. Und sie wissen, wie sie Texten schnell die wichtigsten Informationen entnehmen.

Lehrer sollten diese Fähigkeit ihrer Schüler zu schätzen wissen, meinte Gerhard Falschlehner vom Buchklub der Jugend bei der Veranstaltung "Lesedialog". Das Pädagogische Institut und der Stadtschulrat hatten Wiens Lehrer eingeladen, um Tips und Tricks zum Thema "Lesen im Unterricht" weiterzugeben. "Kinder lesen nicht schlechter als Erwachsene, sondern anders", lautete Falschlehners kulturoptimistische These.

Freilich: Dicke Bücher, die dem Leser Geduld und Konzentration abverlangen, stoßen bei den Schülern nur begrenzt auf Sympathie. Das "lineare Lesen" (auf der ersten Seite zu lesen anfangen, auf der letzten aufhören) beherrschen nur noch wenige Schüler wirklich. Er beruft sich auf die Ergebnisse der Pisa-Studie der OECD aus dem Jahr 2000: Untersucht wurde die Lesekompetenz von 15- bis 16jährigen Schülern (Pisa steht für Programme for International Student Assessment). 40 Prozent der Befragten haben angegeben, "nicht zum Vergnügen zu lesen". Ein Drittel deklarierte sich als absoluter Lesemuffel. Wobei Mädchen generell lieber Bücher lesen als Burschen. "Der Leser ist eine Leserin", sagt Falschlehner. Er läßt sich trotz der Pisa-Ergebnisse von Kulturpessimismus nicht anstecken und weitet den Lesebegriff aus: Kinder und Jugendlichen lesen ständig, auch wenn sie kein Buch in die Hand nehmen.

Dennoch: Lineares Lesen sei die Basiskompetenz, die man braucht, "um nicht manipuliert zu werden". Falschlehner verweist auf den medialen "Krieg der Bilder", der unter dem Titel "11. September" geführt wurde. Wer sich auf die Kürzestbotschaften der Bilder beschränkt, wird einseitig informiert. Dem fehlt die Möglichkeit, sich differenziert mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Deshalb soll die Schule zum (ungeliebten) Buch hin-, oder besser: verführen.

Eine Strategie dazu: differenzierter Unterricht. Weg von der Klassenlektüre. Nicht alle lesen alles. Damit erspare man vielen Schülern Schockerlebnisse, die zu einem generellen Literatur-Haß führen können. Zwar haben dann nicht alle den klassischen Literaturkanon rauf und runter gelesen. "Aber das nehme ich in Kauf", so Falschlehner.

Das schnelle, informierende Lesen soll aber genauso seinen Platz im Unterricht haben: damit die Schüler ihr Können beweisen. Und das üben, was sie im Alltag dauernd brauchen.




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