Frankfurter Rundschau 14 12 02

Schulleiter sollen Schwänzen mit Bußgeld belegen

Britische Regierung will Disziplin im Lande stärken / Direktoren möchten nicht Richter sein

Von Peter Nonnenmacher (London)

Mit neuen Ideen zur Stärkung der Disziplin im Lande wartet die britische Regierung auf. Den Eltern von Schulschwänzern sollen Schuldirektoren künftig Strafzettel ausstellen dürfen. Lehrerverbände und Pädagogen im Königreich finden den Vorschlag "vollkommen verrückt".

Schulschwänzen ist in vielen britischen Großstädten ein hartnäckiges Problem. An manchen Londoner Schulen tauchen bis zu zehn Prozent der Schüler nicht regelmäßig zum Unterricht auf. In der Vergangenheit haben Bildungs- und Innenminister vergeblich versucht, dem Problem beizukommen. In diesem Jahr sind bereits drakonische Maßnahmen ergriffen worden: Eine nachlässige Mutter wurde, weil sie ihr Kind nicht zum Schulgang zwang, zu einer einwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. Auch verstärkte Polizei-Patrouillen in Kaufhäusern und auf öffentlichen Plätzen sind eingeleitet worden, bisher jedoch mit wenig Erfolg.

Nun hat Bildungsminister Charles Clarke einen neuen Plan entwickelt: Schulleiter sollen das Recht erhalten, den Eltern notorischer Schulschwänzer Strafzettel auszustellen und sie zur Zahlung von Gebühren anzuhalten. 50 Pfund (77 Euro) soll unerlaubtes Fernbleiben von der Schule kosten. "Es ist höchste Zeit, der Autorität im Lande wieder Geltung zu verschaffen", findet Minister Clarke. "Die Schuldisziplin muss darum verstärkt gefördert werden." Nach den Vorstellungen Clarkes sollen angemessene Strafen zur Verfügung stehen, aber nur "in extremen Fällen" genutzt werden. Im kommenden Jahr soll das Vorhaben in ein neues Gesetz zur Bekämpfung unsozialen Verhaltens eingearbeitet werden.

Lehrerverbände und Presse-Kommentatoren halten die Strafandrohung jedoch für unzweckmäßig und erwarten nicht, dass sie wirklich umgesetzt wird. Sie weisen darauf hin, dass die Regierung Blair beispielsweise vor ein paar Jahren Gemeinden das Recht zur Verhängung von abendlichen Ausgangssperren für Kinder verschaffte, dass dieses Recht aber noch kein einziges Mal in Anspruch genommen wurde. Sollte es der Regierung mit den neuen Plänen jedoch ernst sein, muss sie an den Schulen selbst mit Widerstand rechnen. Als "echte Gefahr" bezeichnete der Verband der Schuldirektoren und weiblichen Lehrkräfte die Clarkesche Idee. "So etwas würde den Schulleitern eine halbrichterliche Funktion zuweisen, Chaos bei den verhängten Strafen verursachen, zu permanentem Rechtsstreit führen und die schon schwierige Beziehung zwischen Direktoren und obstruktiven Eltern noch schwieriger machen." Ein anderer Verband, der Nationale Schulleiter-Bund, zeigte sich ebenfalls "nicht überzeugt" davon, "dass Schulleiter die Durchsetzung von Strafrecht besorgen sollen".

"Völlig verrückt, völlig bekloppt" nannte Pädagogie-Professor Ted Wragg von der Universität Exeter den Regierungsplan. "Es mag ja angehen, dass Politessen herum marschieren und Tickets austeilen. Aber Schulleiter, die unbotmäßigen Leuten Strafzettel auf die Köpfe kleben? Warum fragt die Regierung nicht mal die Direktoren selbst, was ihnen bei der Arbeit wirklich helfen würde?"




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