SZ 14 12 02

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Besser lernen mit Gutscheinen

In den USA ist der Wettbewerb zwischen Schulen eröffnet, doch der Ansturm auf private Einrichtungen blieb bislang aus

Von Marc Hujer

Bildungsgutscheine gelten in den USA als Lösung der Bildungsmisere: Indem der Staat mancherorts „vouchers“ ausgibt, soll der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Schulen, teilweise auch unter den öffentlichen angeheizt werden – mit bislang wenig überzeugenden Ergebnissen. Zum ersten Mal sind auch in Deutschland Gutscheine in der Diskussion: Die Stadt Hamburg will sie für die Vergabe von Kindergarten- und Tagesstättenplätzen einsetzen und damit Eltern die freie Wahl bieten. SZ- Korrespondenten berichten.

Die neuere Geschichte der Northwestern High School ist ein Manifest für das Scheitern des öffentlichen Bildungssystems. „Northwestern High“ sollte die Vorzeigeschule in Miamis Einwanderungsviertel Liberty City werden, mit Spezialkursen wie Theater, Zahntechnik und Automechanik. Sie wurde Floridas teuerste Schule. Fertig gestellt mit vier Jahren Verspätung, kostete sie fast das Dreifache der veranschlagten Summe, und die Leistungen der Schüler wurden nicht besser. In diesem Jahr nun rutschte sie im landesweiten Qualitätstest weiter nach unten und bekam ihr erstes „F“, die schlechteste Note, die es zu vergeben gibt. Seitdem muss Floridas teuerste Schule um ihre Schüler bangen. Beim nächsten „F“ dürfen sie Northwestern High verlassen – und mit Gutscheinen vom Staat sich eine Alternative suchen.

Florida ist Testfeld für Bildungspolitiker geworden, nach den Städten Milwaukee und Cleveland, die in den Neunziger Jahren bereits „vouchers“, staatliche Gutscheine also, erprobten. Wie dort hat die Bildungsreform im Südosten der USA das Ziel, die Misere des öffentlichen Bildungswesens zu beenden. Wenn eine öffentliche Schule einen bestimmten Qualitätsstandard unterschreitet, bekommen die Schüler vouchers. Mit ihnen können sie kostenlos Privatschulen mit besseren Bildungserfolgen aufsuchen. In Florida kommt es darauf an, wie die Schüler beim Florida Comprehensive Assessment Test (FCAT), einen Schreib-, Lese- und Mathematiktest, abschneiden. Erhält die Schule innerhalb von vier Jahren zweimal die Note F, wird sie für den privaten Wettbewerb geöffnet.

Nur: Als es es soweit war, ist kaum etwas passiert. Von den wenigen Schülern, die ihre Schule verließen, sind viele schon nach kurzem wieder zurückgekommen. In Florida sind inzwischen 8900 Schüler berechtigt, ihre Schule zu wechseln. Doch nur 703, also nicht einmal zehn Prozent, haben sich für diesen Weg entschieden. Hinzu kommt, dass nach den bisherigen Erfahrungen selbst von diesen 703 etwa jeder Vierte innerhalb des ersten Schuljahres wieder an seine Schule zurückkehrt. Ein wenig besser sieht es in Milwaukee aus, dem ältesten Projekt Amerikas. Dort gibt es inzwischen 9000 Voucher-Schüler. Und in Cleveland nutzen heute 3700 der 75 000 Schüler der Stadt die Bildungsgutscheine.

Von der Bibel lernen

Als Gründe für die Sesshaftigkeit nennen die meisten ihre Freunde, den Schulleiter und die Lehrer, an die sie sich gewöhnt haben. „Die Kultur einer Privatschule ist vielen fremd“, sagt Joan Wynne, Bildungsexperte von der Universität Florida, „und das spüren die Schüler“. In Amerika kommt hinzu, dass zwischen der öffentlichen Schule und der privaten Voucher-Schule meist Welten liegen, denn die meisten Privatschulen sind konfessionell. „Die Kinder lernen dort viel über die Bibel“, sagt eine Mutter, deren Sohn für ein paar Wochen auf einer katholischen Schule war, „aber auf der Grundlage der Bibel“, sagt sie, „bekommt man keinen Job“. Auch für Eltern ist ein Wechsel nicht immer angenehm, denn Privatschulen verlangen meist mehr zeitliches Engagement, als viele Eltern bringen können oder wollen.

Alles hängt aber auch hier wieder am Geld. Bildungsgutscheine zu bekommen heißt nicht, dass für die Eltern alles kostenfrei ist. Schüler, die staatliche Schulen besuchen, bekommen bei Bedarf sowohl die Fahrtkosten als auch das Mittagessen bezahlt. Wenn sie dagegen – ausgerüstet mit staatlichen Bildungsgutscheinen – auf eine Privatschule gehen, gibt es diese Sonderförderung nicht mehr. Die Familie muss die Kosten dann ganz alleine tragen. Gutscheine decken zwar die Schulgebühren ab, sie sind aber so bemessen, dass die Voucher-Schüler nicht alle Schulen im Land aufsuchen können. In Milwaukee beträgt die Höchstsumme 5500 Dollar pro Jahr, in Cleveland 2250 Dollar und in Florida zahlt der Staat 3400 bis 4100 Dollar. Die besten Schulen bleiben somit verschlossen, etwa die Gulliver Ransom Everglades School in Miami, die 17 000 Dollar pro Jahr verlangt.

Bildungsgutscheine waren bislang eine Lieblingsidee der Republikaner. Die Demokraten dagegen wollten aus Rücksicht auf die beiden großen Lehrergewerkschaften, die zusammen 3,5 Millionen Lehrer organisieren, keine Privatisierung des Bildungswesens forcieren. In den neunziger Jahren setzten die Republikaner ihre Bildungsreform in Milwaukee (1990), Cleveland (1995) und Florida (1999) durch, mussten aber hinnehmen, dass 26 Bundesstaaten sich in Volksabstimmungen gegen die Einführung von Bildungsgutscheinen aussprach, zuletzt Kalifornien. Auch Präsident George W. Bush enttäuschte mit einer landesweiten Reform, die er im Präsidentschaftwahlkampf versprochen hatte. Nach den erfolgreichen Zwischenwahlen machen sich die Republikaner nun erneut Mut. Es heißt, bald werde es Bildungsgutscheine in zwei weiteren Bundesländern geben: in Colorado und in Texas, dem Heimatstaat von Bush.

Gegen die Verfassung

Die Euphorie der neunziger Jahre ist jedoch verflogen, zumal mit den Gutscheinen inzwischen auch verfassungsrechtliche Probleme aufgetaucht sind. Die Ausgabe von vouchers kommt in vielen Fällen der staatlichen Förderung von kirchlichen Einrichtungen gleich – und das bedeutet einen Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar im Sommer das Gutscheinprojekt von Cleveland als verfassungskonform erklärt. In Florida entschied allerdings vor kurzem ein Gericht, dass Gutscheine mit der dortigen, strikteren Verfassung nicht vereinbar sei. Floridas Gouverneur Jeb Bush muss nun in Berufung gehen, notfalls bis zum Obersten Gerichtshof. Dort aber stehen die Chancen für vouchers nicht allzu gut, denn am Supreme Court haben noch immer Demokraten das Sagen.



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