SZ 14 12 02
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hp
Zeugnis als Eintrittskarte
Personaler schauen immer noch zuerst auf die Noten – allem Gerede über Soft Skills zum Trotz
Charme, Charisma, reichlich Ego oder eine Eins vorm Komma – was macht den idealen Bewerber aus? Er muss zu uns passen, sagen die einen. Es kommt auf die Persönlichkeit an, sagen die anderen. Er sollte Probleme forsch angehen, sich lieber hinterher entschuldigen als vorher um Erlaubnis zu fragen, sagen Dritte. Wie wichtig sind da überhaupt noch gute Noten? Sind sie lediglich ein vorläufiges Auswahlkriterium, um unter die ersten zehn Kandidaten zu kommen?
„Noten sind noch immer das A und O“, sagt die Gütersloher Karriereberaterin Elke Schumacher. „Auch wenn das Studium etwas länger gedauert hat, zählt die gute Note immer noch mehr als ein Turbo-Abschluss.“ Norbert Wangnick, Vorstand der Kölner Access AG, die sich mit Personal- und Hochschulmarketing beschäftigt, sieht das ähnlich: „Die Note ist das allererste Auswahlkriterium. Wer bei der Bewerbung nur durchschnittliche oder gar schlechte Noten vorzuweisen hat, bekommt kaum eine Chance“.
Gute Noten, so Wangnick, ließen nun einmal entweder auf Fleiß oder auf eine rasche Auffassungsgabe schließen. Und Personaler hätten schließlich auch immer eine Art Gatekeeper-Funktion: Würden sie einen Kandidaten wählen, der sie trotz schlechter Noten überzeugt habe, seien sie die Dummen, wenn der Kandidat im Job scheitere. Dann hieße es schnell, es habe vermeintlich bessere Alternativen gegeben. „Eine gute Note ist die Basis. Alle anderen Fähigkeiten, die in Tests oder im Assessment Center geprüft werden, müssen auf dieser Plattform bestehen können“, sagt Werner Opgenoort, Personalvorstand der Beiersdorf AG. „Wenn die Note stimmt, ist die Gefahr geringer, dass man einen Bewerber einstellt, der den Job dann doch nicht bewältigt. Auch wenn die Auslese nach Noten manchmal bedeutet, dass man ein Talent übersieht. Aber dieses Risiko kann man eher in Kauf nehmen.“
Etwas weniger Bedeutung misst Claudia Krenz, verantwortlich für Recruiting bei Procter & Gamble, den Noten zu: „Für eine aussagekräftige Bewerbung sind verschiedene Elemente gleichermaßen wichtig: die Hard Skills wie Praktika, außeruniversitäres Engagement, Studiendauer und Abschlussnote, und die Soft Skills wie analytische Fähigkeiten und Teamgeist. Ausschlaggebend ist die Ausgewogenheit aller Faktoren.“
Dass die Bedeutung von Noten zurück gegangen ist, glaubt Anna-Maria Engelsdorfer vom Hochschulteam des Münchner Arbeitsamtes. „Während etwa in Jura oder den Naturwissenschaften die Note noch immer entscheidend ist, gewinnt in anderen Disziplinen die Persönlichkeit des Bewerbers die Oberhand.“ Einzige Ausnahme seien die Unternehmensberatungen. „Hier werden nur Absolventen mit den besten Noten genommen.“
Wenn sich die Bewerbungsmappen erst einmal im Personalbüro stapeln, interessiert sich niemand mehr dafür, wie die Noten zustande gekommen sind. Dabei wissen die meisten Entscheider, dass beispielsweise eine Drei in Jura mehr wert ist als in Geschichte. Und dass viele Prüfer aus Prinzip gute Noten vergeben: Im vergangenen Jahr wurde bei einem Viertel aller Hochschulexamen die Note Eins vergeben. Eine Debatte über die „Konjunktur der Kuschelnoten“ (Uni-Spiegel) hat nun der Wissenschaftsrat angekündigt. Ende des Monats will er einen ausführlichen Bericht zur Notengebung an deutschen Hochschulen vorlegen.
Ute Albrecht ist überzeugt, dass Noten kaum noch eine verbindliche Aussagekraft haben. Die diplomierte Bibliothekarin, die sich nach zwei befristeten Stellen und längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit als Informationsbrokerin selbständig gemacht hat und selbst Bewerber einschätzen muss, meint: „Arbeitgeber sollten sich nicht so sehr von guten Noten beeinflussen lassen, sondern eher auf praktische Erfahrung setzen und die Einstellung der Absolventen zu ihrem Beruf testen: Wie hat der Bewerber Krisen gemeistert? Welche Erfolge hatte er? Was tut er für seine Weiterbildung, wie hat er die Zeit der Erwerbslosigkeit überbrückt? “
Da nicht alle künftigen Arbeitgeber so denken, bleibt für die schwächeren Absolventen nur ein Trost: So wichtig die Noten am Anfang einer Karriere sind, so schnell verlieren sie an Bedeutung. „Nach zwei Jahren sind Noten völlig egal, dann fragt keiner mehr danach“, sagt Access-Mitarbeiter Norbert Wangnick. Dann zähle nur noch, was man im Job bisher geleistet hat. „Wie rasch man Karriere gemacht hat, Personalverantwortung hatte, bei welchen Firmen man war und ob es Empfehlungsschreiben gibt.“
SABINE HENSE-FERCH
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