SPIEGEL ONLINE - 20. Dezember 2002, 11:26
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Eine Professorin auf Plagiat-Jagd (4)

Alles nur geklaut?

Hemmungslos kupfern manche Studenten und Professoren bei Kommilitonen und Kollegen ab. Bei Debora Weber-Wulff haben dreiste Ideendiebe keine Chance. Im letzten Teil ihrer Plagiat-Serie beschreibt die Berliner Dozentin die Reaktionen von SPIEGEL ONLINE-Lesern - bis hin zu skurrilen Beschimpfungen.

Es tun sich Abgründe auf. Mein E-Postkasten quillt über mit Zustimmungen, Beschimpfungen, Berichten, Links, Geschichten von Erwischten. Komischerweise sind keine Beichten darunter. Bereits Minuten nach Freischaltung des ersten Beitrags ging es los. Ich wusste gar nicht, wie viel SPIEGEL ONLINE gelesen wird, besonders in Übersee.

Die Geschichten und Berichte lassen mir die Haare zu Berge stehen. Ich habe mich zunächst über eine Zuschrift im SPIEGEL ONLINE-Forum geärgert, in der ein Korrespondent meinte, bei plagiierenden Professoren dürfe man sich nicht über schummelnde Studenten wundern. Wir sind doch alle ehrenwerte Professoren und Professorinnen, nur der Wahrheit und der Wissenschaft verpflichtet, dachte ich. Und fühlte mich angegriffen.


Fassungslos lese ich aber über...

Diplomarbeiten, die sich plötzlich in Veröffentlichungen oder Patente der Betreuer verwandeln, unter Verschwinden des Urhebers

Gutachter, die ein Projekt ablehnen und es selber woanders (oder gar an derselben
Stelle) einreichen

Promotionen, die auf Übersetzungsplagiaten beruhen und von mächtiger Stelle gedeckt werden

Doktortitel, die offen im Internet verkauft werden (wirklich! Tippen Sie nur "Doktorarbeit kaufen" bei Google ein!)

Habilitationen, abgekupfert bei Arbeiten anderer

Veröffentlichungen, die nicht vom Autor stammen

Leute mit Kenntnissen von den Vorgängen wagen nicht, etwas zu sagen, weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis sind. Und Leute, die etwas gesagt haben, werden nun abgestraft. Dabei gehen die Hausarbeitsbörsen doch wenigstens offen mit dem Thema um.

Plagiat als Lernziel?

Wo, bitte schön, ist das ethische Handeln geblieben? Mein Bild der Wissenschaft in Deutschland hat einen ganz schönen Kratzer abbekommen.

Dozentin Weber-Wulff: Schluss mit den Plagiaten!

Das bestärkt mich umso mehr, dass wir bemüht sein müssen, die Anfänge einer Plagiatskarriere zu verhindern, indem bereits in der Schule und in den Seminaren Aufklärung betrieben wird. Und die Ergebnisse konsequent kontrolliert werden.

Auf gar keinen Fall darf etwas Schule machen, auf das mich ein Leser aufmerksam gemacht
hat: Niedersachsen hat ein Projekt "n24", um SchülerInnen mit Notebooks auszustatten. In einem Bericht heißt es:

"Nach einer kurzen Beamer-Einführung in den Abend gingen alle Kinder mit ihren Eltern an die Rechner, um ihnen zu zeigen, was sie seit Schuljahresbeginn bereits gelernt haben (Word, Excel, Informationen aus Encarta kopieren und einfügen)."

Plagiat als Lernziel? Mir ist schlecht.

Ich bin begeistert über den Zuspruch für meine kleine Handreichung für Lehrer, zunächst nur für eine Freundin aufgeschrieben. Aber da ich sie im Netz publiziert habe, ist sie bereits viel gelesen worden, und von einem netten Lehrer richtig "eingedeutscht" worden. Bereits drei Lehrerportale haben darum gebeten, eine Kopie verwenden zu dürfen.

Bitte schön, gerade wenn es so hilfreich ist! Ein Lehrer berichtet, er habe es gelesen, und wurde am nächsten Tag stutzig: Genau so einen Fall mit "gemischten Überschriften" - mal rhetorische Fragen, mal knackige Aussagen - wurde in der Klasse vorgetragen. Am Nachmittag hat er eine Suchmaschine befragt, 15 Sekunden später lagen die Originale vor. Ich denke, am anderen Tag wurde intensiv über Plagiat in der Klasse gesprochen. Weiter so!

"Bestimmt vom CIA eingesetzt"

Auch ein Fachhochschulkollege berichtete von einer Diplomarbeit, die den Eindruck eines Flickenteppichs machte. Nur eine kurze Recherche später war klar, dass es ein Misch- Plagiat war.

Die Beschimpfungen meiner Person waren zum Teil sehr lustig: Ich sei wohl eine faule Professorin, bestimmt vom CIA eingesetzt worden; die deutschen Steuerzahler fänden es nicht in Ordnung, dass so eine wie ich einen öffentlichen Bildungsauftrag habe etc. Und eine vermeintlich anonyme Zuschrift, in der sich jemand darüber beklagt, dass ich "dem gesamten Lehrkörper unsere Methoden zur Erlangung einer 'guten Note'" (sic!) verrate. Meine eigenen Studenten sind zum Teil besorgt, ob die FHTW Berlin nun den Ruf einer "Plagiator-Hochschule" bekommt. Ich glaube, sie können beruhigt sein, denn dies ist ein weltweites Phänomen.

Bei Plagiat Exmatrikulation

In den USA, berichtet ein Leser, gibt es immer noch einige Fälle jedes Jahr, obwohl die Strafe oft Exmatrikulation ist. Ich denke auch, ein Diplom von uns hat nun eher ein höheren Stellenwert, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Plagiat handelt, ist vielleicht etwas geringer als anderswo.

Vielleicht sollten die deutschen Hochschulen "Ehrenräte" gründen? Sie könnten Plagiats- Fälle sowohl aus der Studentenschaft als auch Beschwerden gegenüber Lehrkräften behandeln und Sanktionen vorschlagen - vielleicht bis zum Ausschluss aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Es würde mich freuen, wenn die Diskussion über das Plagiat weiter ginge. Debora Weber-Wulff ist Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

1. Folge: Wie die Dozentin dreiste Ideendiebe erwischt
2. Folge: Von Wortverdrehern, Dünnbrettbohrern und Halbsatzpanschern 3. Folge: Auf den Schultern von Giganten







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