Ein Plädoyer für Fremdsprachen - und einen vielleicht anderen Fremdsprachenunterricht - bringt die Frankfurter Rundschau vom 27.12.03 unter

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Der Autor, Eduard Wiecha, ist Professor für französische Sprache &
Literatur; sein Text wärmt jedenfalls ein Philologenherz, auch an graukalten Winterabenden... meint Timo Davogg

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Warum nur Französisch? Teil 1

Mehr Begeisterung für Vielsprachigkeit und Lust beim Lernen können nicht schaden / Von Eduard A. Wiecha

Fast geschenkt

Zugegeben, ich gehöre zu den Glücklichen, die keinen Unterschied zwischen Hobby und Beruf machen. In der Schule schon faszinierten mich die Fremdsprachen, wie sie gerade kamen: zuerst Latein. Ein Puzzlespiel aus Formen und Funktionen, Helden und Rhetoren. Damit mauserte sich das kindliche Gehirn zur Agentur für die Entschlüsselung des Fremden. Dann Englisch. Zuhören, Verstehen, Reden. Smalltalk mit amerikanischen Touristen, die die "Romantische Straße" befuhren. BBC-News, Zeitungen, Beatles, Folksongs aus Irland. Französisch begegnete ich spät, am Ende der Mittelstufe. Wahlweise nahm ich gleich noch etwas Spanisch und Russisch mit.

Die Weichen stellte der Zufall. Ein Schulfreund hatte Platz im angegrauten Opel Rekord. Drei Wochen Tour de France, mit 80 Sachen. Endlos gerade Nationalstraßen, platanengesäumt, jede Menge "Rappel"-Schilder, alle zehn Minuten ein Kreisverkehr. Und Weinberge, so weit das Auge reicht, zwischen Champagne und Loire. Grandiose Landschaften an der bretonischen Küste. Vor den Pyrenäen war das Meer warm und blau. In den Kleinstädten stand die Zeit still. Eine mittelalterliche Kirche, ein Platz, Café-Terrassen, Boulangerie und Epicerie. Baguette mit Camembert zu einem Schluck Roten: unser täglich Brot. Das Schwätzchen mit der Madame am Ladentisch: Bonjour, Ca va? Wie gut es tut, sagen zu können, was du suchst, und die Antwort ungefähr zu verstehen!

Im Jahr darauf ging es mit einer Landjugendgruppe ins verschwisterte Dorf am Atlantik. Meine Bauernfamilie, vielköpfig und agil, machte keine Umstände. Ich gehörte dazu. Besuche auf dem Markt und in der Hühnerfarm der Tante, Muschelsammeln am Felsstrand, stundenlange Abendmahlzeiten. Da floss der Muscadet, wogten Geschichten und Späße vielstimmig hin und her, schmiedete man Pläne, schimpfte auf Politiker. Das schöne Gefühl: Du redest mit, du bist nicht fremd!

Französisch an der Universität, das war die Welt der Literatur, von Montaigne bis Marguerite Duras, von Villon bis Brassens. Das waren die Reden der Revolutionäre, die Manifeste der Künstler, die Theorien der Linguisten. Die Sprache des gewöhnlichen Lebens spielte kaum eine Rolle. Meist dozierten die Professoren auf Deutsch. Wer nicht wollte, machte den Mund nicht auf. Mein Bestreben war, möglichst oft im Lande selbst zu sein. Im Sommer betreute ich französische Kinder in Ferienlagern. Zehn Monate hindurch machte ich Konversation mit Schülern in Burgund. Nach dem Examen durchforstete ich mehrere Jahre deutsche Sprech-, Schreib- und Denkweisen mit Studenten und Studentinnen einer Hochschule im Süden. Morgens stand der Hund der Vermieter vor der Tür. Zu Mittag saß ich bei ihnen am Tisch. Zwischen den Gängen stimmte ich in die Kommentare zu den Fernsehnachrichten ein.

Am Abend traf man sich unter Freunden am Strand. Oder wir gingen ins Kino. So bekam ich die andere Sprache fast geschenkt. Als ich zurückfuhr, war das Auto voll mit Büchern, Bildern, Schallplatten, Adressen. Ich brauchte den Schatz nur zu öffnen, um ihn weiterzugeben, Stück für Stück.

Lamento

Nicht immer läuft es so. Bis heute, 20 Jahre danach, müssen angehende Sprachen-Pädagogen keinerlei Auslandsaufenthalt vorweisen. Wie sollen sie
Rede- und Lebenserfahrung vermitteln, ohne sie vor Ort gesammelt zu haben, ein paar Monate lang wenigstens? Woher erhält ihr Tun den emotionalen Drive, aus dem Glaubwürdigkeit wächst? Wie verhindern sie, dass "ihre" Sprache mehr wird als öder Lernstoff, vorgekaut ohne Maß und Ziel? Die Jungen ergreifen sicher die Initiative auf eigene Faust und Kosten. Ihre Aussicht auf Anstellung wächst dabei nicht. Im Gegenteil: Das Laufbahnrecht bestraft derart "vergeudete" Zeit.

Ein wenig erklärt dies, warum sich "einsprachiger" Unterricht hier zu Lande kaum eingebürgert hat. Auch, warum die geballte Saat der Didaktik und der Verlage so spärlich sprießt. Jede Menge alternativer Methoden - "Natural Approach", "Lernen durch Lehren", "Suggestopädie", "Psychodramaturgie"....

Immer bessere Vorlagen, Audio, Video und interaktiv, die den direkten Zugang zum Telefonieren, zum Präsentieren, zum Restaurantbesuch weisen. Klägliche Resultate, en gros. An dem simplen Ziel, Kontakt einzufädeln mit Leuten wie du und ich, tuckert der Zug vorbei. Auf vermeintlich sicherer Schiene wälzt er Geröll vor sich her: Formendrill, Vokabelabfragen, Textzerpflücken, mit Diktat, Übersetzung, Fehlerzählen im Geleit. Der Blick auf Wesentliches bleibt verbaut. Das wäre es: Hören im Original, ohne gleich alles zu "entschlüsseln", Reden nach Herzenslust, methodische Tricks fürs Lernen, Schlaglichter auf das bunte Leben in der anderen Kultur. Non scholae, sed vitae...

Nur so macht es Lust auf mehr. Weg mit der Flut schriftlicher Arbeiten, die im südlichsten Freistaat in den Zeugnissen gar mit 2:1 zu Buche schlagen. Fortschritte beim Hören und Reden lassen sich elektronisch aufzeichnen, vergleichen. Noten ohne Drohgebärde, Phasen intensiven Eintauchens in die Sprache statt jahrelanger "Streukurse": Wer blockiert, sind die Behörden.

Die Lehrer für Auslandspraktika zu ermuntern, mittels materieller Anreize natürlich, das wäre der wahre Jungbrunnen. Menschliche wie sachliche Vorbilder könnten sie allesamt sein. Dafür aufhören mit Verwalten, Selektieren, Sanktionieren.



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