Warum nur Französisch? (3)


Basissprache Französisch

Mehrsprachig müssen die Europäer werden, in möglichst hoher Zahl. Die Kultur unseres Kontinents verlangt es. Dem "regionalen" Bedarf kommt es entgegen. Im Maastrichter Vertrag steht es geschrieben. Die Kultusminister wissen es, doch Entscheidendes getan haben sie nicht. Zum Beispiel: Womit beginnen? Der pädagogischen Faustregel nach mit einer komplex gearteten Sprache. Ruhig gegen den Modetrend - Nachhaltigkeit verpflichtet. Harald Weinrichs Formel: "Langue d'origine, X + l'anglais". Mit nach oben offener Skala, versteht sich. Russisch käme gerade im Osten in Frage. Seine unsensible "Abwicklung" dort hat bislang nicht einmal den Verlust spürbar gemacht. Türkisch im Westen? Die Minderheit müsste da wohl erst zur Mehrheit wachsen. Also Französisch. Hinter der Muttersprache platziert, verspricht es nach einigen Jahren aktive Kenntnisse. Wobei Englisch den "Rückstand" mühelos einholt, wie sich in Rheinland-Pfalz erwiesen hat.

Französisch legt den Grundstein für mehr. Seine präzise Architektur fördert Denken par excellence: die Kunst des Platzierens, Verschiebens, Reflektierens der Bausteine. Wie weiland Latein. Von dort stammt es her. Weit öffnet es die Tür zur romanischen Sprachenfamilie. Spanisch, Italienisch, Portugiesisch/ Brasilianisch: Wortschatz wie Konstruktion sind der gallischen Schwester nahe; Schreibung und Aussprache laufen dagegen fast wie von selbst.

Doch keine Angst, Französisch ist allemal "sexy" und beflügelt das Handeln. Sobald man es spricht, kommt es beschwingt und unbekümmert daher. Erstarrte Normen bleiben auf dem Papier zurück. Menschliche Nähe verströmt das Kolorit der Accents von Besancon bis Toulouse. Die Plastizität der Wendungen im Alltagsjargon lässt einen nicht so schnell los. Gesicht, Hände, Körper teilen sich mit. Als Prinzip gilt die Ökonomie der Verständigung. Schulisches Neuland, gewiss. Der Dosierung bedürftig. Vor allem jedoch faszinierend. Mehr und mehr richten die Didaktiker darauf ihren Blick. "Rezepte" für den Unterricht werden folgen, dem guten (?) alten Bon Usage zum Trotz. Ein Trost, dass selbst Franzosen in der Regel die Orthographie gerade so ungefähr "können". Gebannt und ein wenig verlegen folgen sie dem jährlichen Fernseh-Ritual der Diktat-Olympiade. Académie-gesteuert, stehen die höheren Weihen des Citoyen auf dem Spiel. Keinem bundesdeutschen Leistungskurs ist es da verwehrt, sich einzuklinken.

Auf nach Paris! Ruhig mit leichtem Gepäck. Nicht nur die Stein gewordene Geschichte ist hier daheim. Die Stadt gehört heute der jungen, populären Kultur Europas. Afrikanisch-überseeisch aufgemischt. Mit Rap, Rai und Techno à la française. Das Fenster zur Frankophonie. Vier europäische Staaten, fünfzig weltweit. Brüssel, Genf, Montréal, Casablanca, Dakar, Saigon - sie alle atmen französisch.

Partner Frankreich

Es lohnt sich. Nicht umsonst bekennen "Größen" wie Claudia Schiffer oder Steffi Graf: Wir haben gerne Französisch gelernt. Das andere Land brachte ihnen Erfolg. Eine fachsprachliche Aufbaugrammatik Französisch empfiehlt sich so: "International engagierte Unternehmen suchen händeringend nach Personal mit guten, berufsrelevanten Fremdsprachenkenntnissen über das Englische hinaus." In der Tat vermeldet jeder dritte dieser Arbeitgeber für sein Haus Bedarf in Französisch. Kein Wunder. Das Hin und Her der Waren, des Kapitals, der Servicegüter über den Rhein schlägt alle Rekorde. Mehrere tausend Firmen unterhalten Niederlassungen hüben und drüben. Fusionen en masse sind angesagt. DASA-Aérospatiale und Rhône-Poulenc-Hoechst bilden die Spitze des Eisbergs. Hunderttausende Schüler, Lehrlinge, Studenten besuchen Einrichtungen der Gegenseite, machen Praktika, studieren. Gut 2000 Partner-Kommunen stehen in manchmal lockerem, manchmal engem Kontakt.

Nur die Sprachlosigkeit verwundert, und wie sie festgemauert scheint. Zusammenarbeit ist gefragt, von Mensch zu Mensch. Sie setzt Neugier voraus, Interesse am anderen. Weshalb 12 Millionen deutscher Frankreich-Besucher im Jahr außer Einnahmen nicht viel bedeuten. Noch bleiben längere Arbeitsaufenthalte einer "Elite" vorbehalten. Der Strom der Facharbeiter grenznaher Gegenden, zumal aus dem Elsass, fließt eher von West nach Ost. Das könnte sich ändern. Die französische Wirtschaft schickt sich stillschweigend an, die deutsche auf Dauer zu überflügeln. Für unsere Lehrerinnen und Lehrer zeichnet sich die Konkurrenz der Kollegen von "drüben" schon ab. Wie die Chance, selbst dorthin aufzubrechen.

Hinter der Macht der Gewohnheit: das Gewicht der Klischees. Auch der positiven. Franzosen bewundern hartnäckig deutsche "Disziplin" und "Wertarbeit". Deutsche beneiden die Gegenseite um ihren angeblich so lockeren Lebensstil. Das beflügelt den Export, Siemens und BMW zum ersten, Dior und Chablis zum zweiten. "Teutonische" Partner kommen gerne gleich zur Sache. Gewohntermaßen planen, diskutieren, protokollieren sie auch kleinste Schritte. Effektivität über alles. Die "welschen" Geschäftsfreunde interessiert zunächst die Person. Dann laden sie zum Essen.

Vertrauen vor Kontrolle. Bei ihnen hat man die Idee, das Ziel im Auge. Die Kunst der Improvisation. Den Enthusiasmus der vielen, auch den Egoismus der Einzelnen, zähmt ein starker Staat. Hier zu Lande halten die kleinen Einheiten die Dinge in Bewegung, höhlt steter Tropfen den Stein. Das kann
nerven; den chaotisch erscheinenden "Reform"-Debatten sei's geklagt. Es trägt freilich auch Früchte. 16 Bundesländer, noch mehr Wirtschaftszentren, zahllose kommunale Initiativen, das Netz der sich selbst und der "Sache" verpflichteten Fachleute.

Wer hat da nun Recht? Eine interkulturelle Vergleichsanalyse kommt zu dem
Schluss: "Die Erfolg versprechende Mischung: französische Kreativität und Unbefangenheit (Risikofreude) und deutsche Gründlichkeit und Perfektionsstreben (Sicherheitsdenken)." Gemeinsamkeit also. Der Weg führt durch die Mitte. Den echten (Neu-) Anfang aber macht immer die Sprache.


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